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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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wohin sie geht, was sie kauft, was sie liest. Alles.«
    »Wieso denn?«
    »Sie ist Sharifis Cousine.«
    »Wir sollen Sharifis Cousine überwachen? Warum?«
    Li zögerte, hin und her gerissen zwischen der Gewissheit, dass sie Hilfe brauchte – Hilfe, die McCuen ihr eher leisten konnte als irgendwer sonst in der Station –, und der Befürchtung, dass früher oder später alles, was sie ihm anvertraute, zu Haas durchdringen würde.
    Oder vielleicht nicht? Wann war sie eigentlich so misstrauisch geworden?
    »Gould weiß, dass Sharifi tot ist«, sagte sie vorsichtig und überlegte, dass McCuen ein kluger und fähiger Mann war und es nicht schaden konnte, ihm einen Köder hinzuwerfen, um zu sehen, was er damit anstellte. »Sie wusste es, bevor ich sie angerufen habe.«
    Ein unheimliches Trillern kam über die Leitung, das Li durch Mark und Bein ging. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass es McCuens Pfeifen war.
    »Mist«, sagte er und klang dabei sehr jung und sehr beeindruckt.
    »Genau«, sagte sie und grinste. Wirklich Mist.

    Sie loggte sich aus, brach die Verbindung ab und betrachtete noch einmal Sharifis Schreibtisch. Sie bückte sich und zog nacheinander die wackligen Schubladen auf. Die beiden oberen enthielten nichts Interessantes, in der untersten aber fand sie ein langes, schmales schwarzes Kästchen, versteckt hinter einer Anzahl von Datenwürfeln.
    Statuslämpchen blinkten in einem beruhigenden Rhythmus auf dem Deckel, aber davon abgesehen war das Kästchen rundum mattschwarz, ohne Aufschrift oder Firmenlogos. Li hatte schon ähnliche Kästchen gesehen. Gewöhnlich dienten sie als Behältnis für teure experimentelle Wetware.
    Dies hier war keine Ausnahme. Sein Inneres war mit einer dicken Schicht viralen Gallerts ausgekleidet, warm und feucht wie das Innere eines Mundes, und hielt seine wertvolle Fracht bei 99,7 % Luftfeuchtigkeit und vier Grad über Körpertemperatur steril. Und in dem Gallert lag wie ein Perlenhalsband ein fingerdicker Zopf aus mit Silicium ummanteltem Keramstahl.
    Es war ein Wet/Dry-Interface. Eine Seite endete in einem standardmäßigen Stecker, der in einen externen, siliciumbasierten Datenport passte. Die andere Seite – die dieses extravagante Aufbewahrungssystem erforderte – war Wetware, im Tank gezüchtetes Nervengewebe, das der Form nach in einen Schädelsockel von hoher Kapazität passte. Das ganze Gerät hatte den glatten, betont schlichten Look einer hochwertigen Spezialanfertigung. Hacker-Equipment.
    Li drehte das Interface um, suchte nach einem Herstellerzeichen oder einer Seriennummer. Sie spürte eine leichte Rauheit unter ihren Fingern, als sie die Unterseite des trockenen Sockels betastete, drehte das Ding um und entdeckte einen stilisierten Sonnenaufgang – das gleiche Zeichen,
das sie auf dem Boden des Laboratoriums auf Metz gesehen hatte.
    »Kolodny«, hauchte sie, als eine erstickende Panik in ihr aufstieg.
    Ihre Implantate kämpften dagegen an. Kognitive Programme traten in Aktion, untersuchten ihr organisches Gedächtnis, trennten unmittelbare von erinnerten Bedrohungen, lenkten die Bilder, die ihre Panik hervorgerufen hatten, in gesicherte Bereiche um, wo sie hormonell justiert oder – im schlimmsten Fall – beseitigt werden konnten. Endorphine wurden durch ihre Systeme gepumpt, um den plötzlichen Adrenalinschub auszugleichen. Wieder einmal fragte sie sich, wie verrückt sie sein würde, wenn die Psychotechniker endlich mit ihr fertig waren.
    Eine halbe Minute später hatte sich ihr Atem normalisiert. Zwei Minuten später ließen ihre Psychoprogramme Kolodnys Gesicht durch ihre Implantate blitzen.
    Li rechnete damit, bereitete sich darauf vor. Sie blätterte störrisch durch einen von Sharifis E-Papier-Stapeln, mit gleichmäßigem Atem und Puls, bis das diagnostische Programm die Analyse beendet hatte und Kolodnys Bild hinter ihren Augen verblasste.
    Herr im Himmel, dachte sie in einem dunklen Winkel ihres Geistes, den sie bislang vor den Psychotechnikern verborgen hatte. Waren die Panikanfälle und Flashbacks wirklich normale, langfristige Auswirkungen der Sprünge? Oder waren es Fehlfunktionen, die von den Hacks an ihrem eigenen Systemen herrührten, die sie vorgenommen hatte, um ihre verdammten Erinnerungen aus der Zeit vor der Anwerbung zu verbergen? Sie wusste es nicht, und es gab niemanden, den sie fragen konnte.
    Außer Cohen vielleicht. Aber damit war es seit Metz vorbei.

    Sie beugte sich vor und steckte den Kopf zwischen die Knie, um das

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