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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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würde. »Ihr fehlte ein Stück eines Fingers.«
    »Das hat sie in Londonderry verloren«, murmelte Li. Die Worte kamen ihr mit einem Akzent über die Lippen, den sie sich in den letzten zehn Jahren mühsam abgewöhnt hatte. Sie hatte das Gefühl, als seien sie von jemand anderem ausgesprochen worden. Einer Person, an deren Gesicht sie sich erinnern sollte.
    »Wirklich? Sie war eine IRA-Extremistin? Nicht zu fassen. « Der Priester schüttelte den Kopf. »Ein hartnäckiges Volk. Man sollte meinen, die UN würde einfach aufgeben und sie hier in Ruhe lassen.«
    »Sollte man meinen.«
    Li betrachtete den Grabstein. Es hatte zu nieseln angefangen, und der Regen benetzte die Hartfaseroberfläche des Namensschilds, bedeckte das helle Material wie Tintenflecken. Li fröstelte und zog ihren Kragen zusammen.
    »Ich könnte ihr Ihren Namen nennen«, sagte der Priester. »Wenn sie mit ihr reden wollen.«

    Li hielt den Atem an. »Nein. Nein, ich glaube nicht.« Sie schluckte, und ihr Herz pochte. »Ich glaube nicht, dass sie sich überhaupt an mich erinnert. Und welchen Sinn hat es, an alte Erinnerungen zu rühren? Irgendwie müssen die Menschen doch weiterleben.«
     
    McCuen kam ihr am Shuttlegate entgegen und wirkte ganz blass und angeschlagen.
    »Meine Güte«, sagte Li, als sie sein Gesicht sah. »Was ist passiert?«
    »Es geht um Gould. Sie ist verschwunden.«
    »Wann?«
    »Vor zwei, drei Stunden.«
    Li trat an McCuen vorbei und ging in Richtung Hauptquartier. »Drei Stunden sind keine Ewigkeit, McCuen. Sie kann nicht weit gekommen sein.«
    »Es könnte auch länger her sein …«
    Sie wandte sich ihm zu. »Wie lang?«, fragte sie langsam und deutlich.
    »Es tut mir leid«, sagte McCuen mit elender Stimme. »Ich … sie hat sich gestern Abend schlafen gelegt, und als sie heute früh aufstand, ist sie zwar nicht zur Arbeit gegangen, hat aber Energie, Wasser und Luft verbraucht. Sie war auch in den Stromraum eingeloggt. Wir haben die Anrufe überwacht. Niemand hat gesehen, dass sie Gäste empfangen hat, und erst als ich sie sah, ist mir klar geworden, dass Gould die Anrufe gar nicht selbst getätigt hat. Und so war’s auch. Man hat einfach ihr Heimsystem benutzt, damit es so aussah, als wäre sie es.«
    So wie Li sich Sharifis Systeme zunutze gemacht hatte, um in Goulds Büro einzudringen. Konnte das ein Zufall sein? Oder war es ein Scherz? Und wenn nicht, was zum Teufel führte Gould im Schilde?

    »Warum haben Sie mich nicht gleich angerufen, als sie verschwunden ist, McCuen?«
    »Habe ich getan. Ich hab’s zumindest versucht. Sie … Sie waren nicht im Grid.«
    Natürlich. Sie war durchs alte Shantytown spaziert. Sie war dem Pfad der Erinnerung gefolgt und hatte einem unerfahrenen Kind die Verantwortung überlassen, während die Untersuchung zum Teufel ging. Und es rächte sich bereits.
    »Vielleicht sollten Sie sich in den Strom einloggen und versuchen, sie zu finden«, sagte McCuen. »Ich … ich bin so langsam. Vielleicht finden Sie etwas raus. Deswegen bin ich Ihnen entgegengegangen.«
    »Ja«, sagte Li. »Aber nicht hier.«
    Als sie das Hauptquartier erreichten, erwartete sie bereits der diensthabende Offizier, der Li unbedingt etwas sagen wollte. Sie rauschte an ihm vorbei, ignorierte ihn und winkte McCuen in ihr Büro.
    »Also gut«, sagte sie und setzte sich auf den Schreibtisch, von dem sie immer noch hoffte, dass sie nicht lang genug hier sein würde, um ihn als ihren, nicht als Voyts Schreibtisch zu betrachten. »Von welcher Zeitspanne reden wir? Wann hat sie zuletzt jemand mit eigenen Augen gesehen?«
    »Gestern Abend, vor zwölf Stunden.«
    Li schloss kurz die Augen, als sie online ging, und als sie sie wieder öffnete, sah sie McCuens blasse Gesichtszüge auf irritierende Weise von Stromraum-Bildern überlagert. »Haben Sie finanzielle Transaktionen und dergleichen überprüft?«, fragte sie.
    »Ja. Nichts.«
    Sie überprüfte alles noch einmal, ging Kontobewegungen, Rechnungen für Nahrung, Wasser und Luft, Gebühren für den Spinstrom-Zugang durch, suchte nach den
Spuren, die jede Person im Ring in jeder Minute des Tages, die sie bewusst erlebte, unweigerlich hinterließ. »Das kann einfach nicht stimmen«, sagte sie. »Es kann nicht nichts geben. Es sei denn, sie ist tot.«
    »Tot oder sie bezahlt bar.«
    »Im Ring kann man mit Bargeld nichts anfangen, McCuen. Niemand nimmt Bargeld an. Selbst die verstreuten Dealer und Halsabschneider verlangen saubere, frisch gewaschene Credits.«
    »Vielleicht hält

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