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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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das Gesicht in den Händen. »Wie konnte ich sie nur verlieren? Wie konnte das passieren?«
    »Es sind schon schlimmere Fehler passiert, Brian. Unter anderem mir.«
    »Ich weiß, aber … Mensch, was für ein Mist!«
    Li streckte einen Fuß aus und stupste McCuens Stiefel mit den Zehenspitzen an. »Ganz locker bleiben«, sagte sie.
»Immerhin haben wir eine Spur. Und es gibt nichts Besseres als einen nahen Stichtag, um die Dinge ins Laufen zu bringen.«
    McCuen seufzte und strich sich mit einer sommersprossigen Hand über die Stirn.
    »Vergessen wir’s«, sagte Li. »Folgen wir erst einmal der Spur, die nach Freetown führt. Ich brauche Daten über jede Übertragung zwischen dieser Station und Freetown in der letzten Woche vor Sharifis Tod. Dann müssen wir herausbekommen, was Sharifi hier gemacht hat. Und nicht nur nach der offiziellen Vision. Ich will jede Sekunde Spinvideo sehen, die sie aufgenommen hat, seit sie die ersten Anträge für diese Experimente einreichte. Ich will alles wissen, was sie seit ihrem Eintreffen auf dieser Station getan hat. Mit wem sie gesprochen, mit wem sie gegessen, geschlafen und sich gestritten hat. Alles und jeden. Auch den persönlichen Kram. Besonders den.«
    McCuen hatte sich einen Notizblock gegriffen und kritzelte hastig ihre Anweisungen aufs Papier.
    »Das könnte helfen«, sagte sie, zog Sharifis Tagebuch aus der Tasche und legte es vor sich auf den Tisch.
    »Ich weiß«, sagte sie als Antwort auf den Blick, den er ihr zuwarf. »Ich hätte es protokollieren sollen. Aber, mein Gott, es ist in ihrer eigenen Handschrift. Es ist wahrscheinlich voller DNA-Spuren. Es gibt schließlich keinen Zweifel daran, wer es geschrieben hat.« Und natürlich hatte sie es für sich behalten wollen, bis sie es zusammen mit Nguyen gründlich durchgegangen war.
    »Nein«, sagte McCuen. »Sie verstehen mich nicht. Es geht um Haas. Er hat den ganzen Tag angerufen. Er wollte etwas aus Sharifis Besitz anfordern. Etwas, von dem ich behauptet habe, dass wir es nicht haben. Es stand nämlich nicht auf der Inventarliste.«

    »Mist.« Li drehte den Stuhl herum, setzte sich rücklings und verschränkte die Arme über der Rückenlehne. Sie wollte mit Haas’ Büroleitung Kontakt aufnehmen, brach aber mittendrin ab.
    »Rufen Sie Haas an«, sagte sie zu McCuen. »Sagen Sie ihm, dass wir’s gefunden haben, aber wir müssen es bei TechComm melden, bevor wir’s an ihn weitergeben können. Sagen Sie ihm, wir tun unser Bestes, damit es möglichst schnell geht. Wenn er ein Problem damit hat, soll er sich an mich wenden.«
    »Wie lang wird es dauern, bis TechComm es freigibt?«, fragte McCuen.
    »Diese Dinge sind kompliziert.« Li grinste. »Die offiziellen Kanäle sind langsam.«
    McCuen erwiderte ihr Grinsen, aber es verging ihm schnell wieder. »Aber woher zum Teufel weiß er überhaupt, dass sie ein Tagebuch geführt hat?«
    »Ja, komisch«, sagte Li. »Das habe ich mich auch gerade gefragt.«
     
    Als sie schließlich das Feldbüro verließ, war bereits Feierabend; die Läden an der Arkade hatten geschlossen. Sie ging in ihr Quartier zurück, zu müde, um sich ein Lokal fürs Abendessen zu suchen, und war zutiefst dankbar für die geringe Rotationsschwerkraft der Station.
    Als sie ihre Tür erreichte, bemerkte sie allerdings, dass in ihrer Abwesenheit jemand das Sicherheitsfeld verletzt hatte.
    Sie trat einen Schritt zurück und überflog mit Blicken die Tür und den Rahmen. Sie wollte sich schon für ihren Verfolgungswahn tadeln, als sie ein Stück E-Papier bemerkte, das unter der geschlossenen Tür hervorlugte.
    Sie zog es mit der Fußspitze heraus und stellte dabei fest, dass es gar kein E-Papier war, sondern ein dickes Blatt buttergelbes
Papier, das von einer einzigen horizontalen Falte geteilt wurde.
    Ein Brief, adressiert an Major Catherine Li, Zimmer 4820, Speiche 12, Compsons Orbitalstation , geschrieben in einer zügigen, flüssigen Handschrift. Sie hob den Brief auf und öffnete ihn.
    Für den Bruchteil einer Sekunde blieb das Blatt leer. Dann erschien über der Falte ein klotziges, geprägtes Monogramm mit dem Zusatz Avenida Bosch 130, Zona Angel . Darunter nahmen Worte Gestalt an, in derselben schwungvollen Handschrift:
    Liebste C., sei nicht so bockig und komm zum Tee. Zur üblichen Zeit und am üblichen Ort. Morgen. C.
    Während sie die zwei Zeilen las, zerfielen die Worte zu Silben und Buchstaben, lösten sich von dem Blatt und verwandelten sich in einen Schwarm bunter Vögel, die

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