Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
Vom Netzwerk:
metarevolutionäre Realität zu verlieren. In den Syndikaten beobachten wir eine evolutionäre Verschiebung hin zu einem Kollektivbewustsein, siehe z. B. das System der Brutstationen, der Dreißig-Jahre-Vertrag, die Konstruktion einer ausgesprochen posthumanen, kollektiven Psychologie, darunter eine allgemein anerkannte Euthanasie für Individuen, die von der genetischen Norm abweichen.

     
    »Hast du eigentlich keinen Respekt vor der Privatsphäre?«, fragte Cohen leicht verärgert.
    »Nur vor meiner eigenen. Was ist das hier?«
    »Eine Rede, die ich halten werde. Ein Entwurf. Womit ich sagen will, dass dich das nichts angeht.«
    Sie zuckte die Achseln und legte das E-Papier wieder hin. »Das alles hört sich so an, als hätte Sharifi keine besonders guten Erinnerungen an Compsons gehabt. Warum ist sie dann dorthin zurückgekehrt? Und was hat sie unter der Erde im Anakonda-Bergwerk gemacht?«
    »Ich weiß es nicht. Wir hatten uns mehr oder weniger aus den Augen verloren. Aber ich habe eine recht konkrete Vorstellung davon, welch ein Mensch sie war. Und ganz gleich, was Helen zu wissen glaubt, Sharifi hätte niemals Informationen verkauft. Sie war eine echte Kreuzfahrerin. « Er lächelte. »Ein wenig wie du.«
    Li überging diese Bemerkung. »Ich mach’s nur für Geld.«
    »Nennt man das heute so?« Er schnaubte. »Ich habe schon Hotelpagen kennengelernt, die mehr Geld verdienen. Und wo wir gerade davon reden: Warum sagst du mir nicht, wonach genau du gesucht hast, als die Feld-KI dich ins Visier genommen hat?«
    »Meinst du wirklich, sie hatte es auf mich abgesehen?«, fragte Li.
    »Nein. Oder besser, ich habe es nicht mehr angenommen, als sie auf dich losgegangen ist. Halbbewusste Systeme entwickeln kein solches Interesse an Menschen. Die meisten echten KIs interessieren sich nicht für Menschen. Nein, jemand hat sie auf dich angesetzt. Jemand, der an dir interessiert ist.«
    »Wer?«
    »Drachen«, murmelte Cohen und zeichnete mit der glimmenden Zigarettenspitze eine schwungvolle Figur in die Luft. »Weiße Schönheiten.«

    Lis Orakel versenkte sich kurz in den Spinstrom, um herauszufinden, was die Weißen Schönheiten sein mochten und was sie mit den sagenhaften Eidechsen zu tun hatten. Alles, was sie erhielt, waren einige obskure Verweise auf Kartenzeichner des sechzehnten Jahrhunderts.
    Cohen lachte, und sie begriff, dass er ihre Anfrage mitbekommen hatte – und dass dabei nichts herausgekommen war.
    »Wenn Kartenzeichner die Grenzen der ihnen bekannten Erde erreichten«, erklärte er, »schrieben sie: ›Ab hier Drachen.‹ Oder sie waren ein bisschen prosaischer und beschränkten sich auf weiße Flecken. Weiße Flecken, die natürlich nur auf den alten Papierkarten wirklich weiß waren. Sibirien, die Rub’ al Khali, Schwarzafrika. Die großen Entdecker nannten diese Gebiete die Weißen Schönheiten. Vielleicht ein dummer Witz von mir. Aber ich wollte damit sagen, dass der Stromraum mehr ist als die Summe der Dinge, die der Mensch eingebracht hat. Es gibt auch im Stromraum Weiße Schönheiten. Lebendige, empfindungsfähige Systeme, die so unbekannt und unerforscht sind wie jene weißen Flecken auf den alten Karten. Menschen sehen sie nicht. Oder wenn doch, dann erkennen sie sie meist nicht. Aber es gibt sie. Und du könntest einen entdeckt haben.«
    Li schauderte. »Das kannst du doch nicht ernsthaft glauben.«
    »Menschen haben schon an seltsamere Dinge geglaubt«, antwortete er. Dann zuckte er die Achseln und lächelte. »Ich stelle keine Behauptungen auf. Du wolltest eine Vermutung hören, und das ist meine Vermutung. Im Moment jedenfalls. Wie jede Frau behalte ich mir das Recht vor, meine Meinung zu ändern.«
    Es war ein altes Argument, dem Li aber nicht widerstehen konnte. »Du bist keine Frau, Cohen.«

    »Meine Liebe, ich bin länger eine Frau gewesen als du.«
    »Nein. Du warst ein Tourist. Das ist etwas anderes.« Li griff auf ihren Festspeicher zu, lud ihren Scan von Sharifis Interface und schickte Cohen eine Kopie. »Schau dir das mal an und verrate mir, was deine weibliche Intuition dazu sagt.«
    »Aber gern«, sagte Cohen und setzte sich abrupt auf. »Ich habe mich schon gefragt, wann du darauf zu sprechen kommen würdest.« Seine Oberlippe verzog sich zu einem schiefen kleinen Lächeln. »Es war ganz unterhaltsam zu beobachten, wie du dich gewunden hast, weil du nicht sicher gewesen bist, wie weit du mir vertrauen kannst.«
    »Es ist keine Frage des Vertrauens«, sagte Li. »Es ist eine

Weitere Kostenlose Bücher