Lichtzeit - Gibson, G: Lichtzeit - Nova War
nächsten Tage erfuhr Corso wiederum einiges über Night’s End. Seine vermeintliche Kerkerzelle war in Wirklichkeit kein Gefängnis. Trotz ihrer Kargheit stellte sie nach den Vorstellungen der Bandati eine behagliche Unterkunft dar, und ihre Lage eignete sich vortrefflich für die Konstruktion einer neuen Galerie, deren Bau jeder Bandati, den es gelüstete, sich dort häuslich einzurichten, in Angriff nehmen durfte. Der Türöffnung haftete keineswegs irgendeine makabre Bedeutung an, sondern sie diente lediglich als praktischer Ein- und Ausgang für eine flugfähige Spezies.
Diese Erkenntnisse trugen zwar nicht dazu bei, Corsos Stimmung zu heben, als er sich nach einer gewissen Zeit in seiner Unterkunft wiederfand, doch wenigstes hatte er jetzt einen Gesprächspartner.
Corso hatte Glück gehabt, dass Honigtau ausgerechnet in diesem Moment aufgetaucht war. Denn hätte er sich bei seinem Sturz schwer verletzt, hätte es für ihn üble Konsequenzen haben können (wie Honigtau später erläuterte), da die Bandati von der menschlichen Physiognomie so gut wie nichts verstanden. In der Tat mussten sie erst ausgiebig in Datenbanken, in denen Informationen über die Menschen gespeichert waren, forschen, nur um zu lernen, wie sie seine ausgekugelte Schulter behandeln
sollten. Und exakt diese Datenbanken, argwöhnte Corso später, hatten sie vermutlich zurate gezogen, als sie herauszufinden versuchten, wie sie ihn am wirkungsvollsten unter Drogen setzen und foltern konnten.
Man versprach ihm, dass er so bald wie möglich seine Kleidung zurückbekäme und am Boden ein Quartier beziehen könne, das er nach Belieben verlassen dürfe. Die Ambrosia enthielt nun keine sedierenden Zusatzstoffe mehr. Honigtau übermittelte ihm sogar eine Art von Entschuldigung; anscheinend beruhten seine Folterungen auf einem Irrtum; der Teil des Staatsapparates der Bandati, der für den öffentlichen Dienst zuständig war, hatte Mist gebaut.
Obendrein hatte Honigtau sich die Mühe gegeben, ihm die Organisationsstruktur des Hives zu erklären, aber was er ihm darlegte, klang mehr nach einer archaischen Lektion in Genealogie und Geburtsrecht, und nach einer Weile gab Corso den Versuch auf, dieses komplexe und fremdartige Gefüge zu verstehen. Es hatte den Anschein, dass die Individuen, denen es oblag, Corso und Dakota aus dem Wrack des Sternenschiffs zu bergen, schlichtweg in Panik gerieten, als sie mit einer Situation konfrontiert wurden, der sie nicht gewachsen waren.
Auf diese Weise erfuhr Corso, dass Honigtau ein Experte für menschliche Angelegenheiten war und in seiner Eigenschaft als Mitglied eines Konsulats große Gebiete des Konsortiums bereist hatte. Seine Fähigkeit, sich klar und verständlich mit ihm unterhalten zu können, erfüllte den gefangenen Freistaatler mit solcher Dankbarkeit, dass er gelegentlich vor Rührung am liebsten geweint hätte.
Während seine Schulter ausheilte und die Blutergüsse verblassten, erzählte er von seinem Leben in der Freien Demokratischen Gemeinschaft, von seinen Studien und von der Kette aus Ereignissen, die ihn überhaupt erst nach Nova Arctis gebracht hatten. Sie sprachen über Senator Arbenz, über Corsos erste Begegnungen
mit dem fremden Sternenschiff und die Mittel und Wege, durch die er sich einen Zugang zu dem Wrack verschaffen konnte. Danach beschrieb er in allen Einzelheiten den Sabotageakt, für den eine in Dakotas Implantate eingeschmuggelte Künstliche Intelligenz der Shoal verantwortlich war.
Jedoch dauerte es nicht lange, bis sein erster Anflug von hoffnungsvollem Optimismus durch eine sich ständig steigernde Paranoia ersetzt wurde.
Nach ihrem ersten Zusammentreffen erschien Honigtau täglich, um Corso zu besuchen; meistens flog er das Metallband vor der Außenöffnung der Zelle an, doch mitunter – allerdings nur sehr selten – trat er auch durch eine Tür ein, die fugenlos in eine Wand eingelassen war, geräuschlos zurückglitt und sich dann wieder schloss, ohne einen Hinweis zu hinterlassen, dass ein solcher Eingang existierte. Ein-, zweimal wurde Corso mit einem flüchtigen Blick in eine dahinter liegende, matt beleuchtete Passage belohnt, deren Wände wie poliertes Kupfer schimmerten; diese Flächen schienen mit abstrakten Mustern verziert zu sein, die den graffitiähnlichen Kringeln glichen, die auch die Wände seiner Zelle bedeckten. Doch zumindest hatte man ihm Bettzeug sowie Lesestoff gegeben, obwohl die Lagerstatt geradezu spartanisch gewesen wäre, hätte Corso
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