Liebe 2.0
bist doch meine Muse. Nichts beflügelt einen
Schriftsteller mehr als eine unglückliche Liebe! – Womit deine Karriere wohl
vorerst schon wieder am Ende wäre…“ Ich ziehe eine Grimasse, und auch Martin
feixt. „Komm her, meine Muse.“
Wir nehmen uns
in den Arm und stehen eine ganze Weile eng umschlungen einfach nur so da – wie
ein perfektes Paar. Und irgendwie sind wir das ja auch. Denn wer an die Liebe
glauben will, der muss erst an die Freundschaft glauben. Und Freundschaft: Das
sind wir.
„Ich danke dir,
dass du mir so toll geholfen hast“, nuschele ich an Martins Schulter. „Dass du
dich auf mich Verrückte überhaupt eingelassen hast. Und danke für deine
Schreibtipps. Und den Campari. Und für die Sache mit der Georgia …“
Martin
unterbricht meinen Redeschwall. „Das alles habe ich als dein Freund gemacht,
nicht als dein Liebhaber.“
„Ich weiß“,
nicke ich. „Und dafür liebe ich dich noch mehr.“
Martin drückt
mir einen letzten Kuss auf die Stirn. „Ich denke, das war’s für dieses Jahr?“
Ich nicke
wieder.
„Und du lässt
dich nicht davon abhalten, auf der Stelle zu diesem Kerl zu laufen?“
Ich schüttele den Kopf, und Martin zieht geräuschvoll die Luft ein.
„Mann, wie ich den Typen beneide… Na komm, dann zieh dir wenigstens was über,
bevor du dir noch eine Lungenentzündung holst und die Geschichte nicht nur für
mich schlecht ausgeht.“
Kurz darauf stehe ich wieder im
Foyer und verabschiede mich von einem der tollsten Männer der Welt.
„Wir
telefonieren?“, frage ich Martin.
„Aber klar. Und
jetzt sieh zu, dass du dich auf den Weg machst, Cinderella. Bis Mitternacht ist
es noch genau eine Stunde.“ Er wendet sich zurück in Richtung Festsaal, während
ich zur großen Pforte gehe. Fast gleichzeitig bleiben wir beide stehen und
drehen uns noch einmal um.
Martin lächelt,
wenn auch müde, und ich lächele ähnlich erschöpft zurück.
„Pass auf dich
auf!“, ruft er mir zu.
Ich nicke. Und
damit trennen sich, zumindest für dieses Jahr, unsere Wege.
Siebenundvierzig
Atemlos laufe ich durch Berlin und
habe doch keine Ahnung, wo ich eigentlich hin soll. Als hätte ich nicht schon
unter normalen Umständen die größten Probleme, mich in einer fremden Stadt zu
orientieren. Aber jetzt? Ich gebe mir größte Mühe, das Chaos in und um mich
herum zu systematisieren, Anhaltspunkte zu finden, die mich weiterleiten –
sowohl in körperlicher als auch in seelischer Hinsicht. Aber das ist gar nicht
so einfach.
Während ich auf
einen der öffentlich aushängenden Stadtpläne starre und verzweifelt erst mich
und dann das Brandenburger Tor suche, fallen mir zahlreiche Szenen der letzten
Monate ein, die jetzt endlich einen Sinn ergeben. Astrids Ärger, weil ich mich
nie klar zu Max bekennen wollte. Ihre Erleichterung, dass Tristan mein Bruder
und nicht etwa ein neuer Toy Boy ist. Max’ Anwesenheit am Twilight -Abend
– von wegen, ein Waschbär habe ihm die Karten gegeben! Es war wohl eher ein
Maulwurf, und zwar einer namens Astrid, der mich die ganze Zeit ausspioniert
und dem ‚Feind’ zugearbeitet hat. Am Ende hat sich die Gute sogar strafbar
gemacht, indem sie in letzter Not auf musikalische Kuppelversuche verfallen
ist! Und das Alles nur zu meinem Besten. Es scheint, dass ich meine
geringschätzige Meinung zur Solidarität unter Frauen dringend überdenken
sollte.
Da! Endlich habe ich sowohl meinen Ausgangspunkt als auch mein Ziel
geortet. Übertragen auf Großstadtverhältnisse bin ich gar nicht mal so weit von
der Straße des 17. Juni entfernt, und auch wenn meine Pumps nicht unbedingt
wandertauglich sind, mache ich mich doch direkt auf den Weg. Wenn ich mich
jetzt erst noch mit dem Busnetz der Berliner Verkehrsgesellschaft
auseinandersetze, bin ich frühestens Silvester 2011 am Brandenburger Tor. Und
das wäre definitiv zu spät!
Nachdem ich mich nach langem Hin
und Her (Kartenlesen war nie meine Stärke!) endlich für eine Richtung
entschieden habe und tapfer losgelaufen bin, kommen mit der Zeit immer mehr
Menschen zusammen, die alle das gleiche Ziel haben wie ich. Ich fühle mich ein
bisschen wie in einem Flashmob, und war die Hektik am Hauptbahnhof bereits mit
den Händen greifbar, so kann man sie jetzt mit einem Messer schneiden.
Unauffällig schiele ich mal nach rechts, mal nach links, und überlege, was all
die anderen um mich herum wohl in den letzten fünfundvierzig Minuten des alten
Jahres noch unbedingt auf die Reihe kriegen
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