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Liebe 2.0

Liebe 2.0

Titel: Liebe 2.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mareike Giesen
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Abitur
überreichen, als mir in dieser Einöde doch noch jemand entgegenkommt: Eine
kleine Gestalt, die ich ihrer Größe nach der Pappmaché-Fraktion zurechne – und
die ihrem Laufstil nach ziemlich dringend aufs Klo muss. Also fasse ich mich
kurz.
    „Hallo du,
entschuldige mal!“ Ich stelle mich ihr direkt in den Weg. „Kannst du mir
vielleicht helfen? Ich suche den Aufenthaltsraum der Oberstufe.“
    Die Kleine
bleibt stehen, blickt argwöhnisch von schräg unten zu mir hoch und scheint kurz
zu überlegen, ob sie mir diese Information überhaupt geben darf. In Zeiten von
Amok und Terror ist sicherlich Vorsicht geboten, und sie kennt ja weder mich
noch mein pazifistisches Naturell. Aber dann habe ich die Prüfung auch ohne
Wesenstest bestanden, und die Kleine zeigt stumm in die Richtung, aus der sie
gerade gekommen ist, ehe sie in die entgegen gesetzte von dannen wieselt.
    „Dankeschön!“, rufe ich ihr hinterher und erschrecke zugleich über meine
Stimme, die hier wahnsinnig laut klingt. Schule hat schon etwas Gruseliges.
    Dass nicht nur Schule, sondern auch
die Pubertät der blanke Horror sein kann, daran werde ich nur wenige
Augenblicke später erinnert, als ich die Tür zum Aufenthaltsraum aufmache.
Zunächst einmal riecht es hier alles andere als frisch! Anscheinend wurde der
wackelige Kicker in der linken Ecke bis gerade eben noch ausgiebig bespielt,
und nun sitzt die Jugend auf zerschlissenen Sofas und verschiedenfarbigen
Stühlen beieinander und transpiriert fröhlich vor sich hin. Na Mahlzeit! Aber
wie sagte meine Lateinlehrerin immer: Es ist noch niemand erstunken, aber
dafür schon manch einer erfroren , also widerstehe ich dem Drang, die
schmutzigen Fenster aufzureißen und die knallende Herbstsonne in die gute Stube
zu lassen. Wer weiß, was die frische Luft mit meinen sensiblen Sängern
anstellen würde? So kurz nach dem Stimmbruch sollte man besser kein Risiko
eingehen!
    „Hallo!“, leiere
ich betont entspannt und nähere mich vorsichtig dem Grüppchen aus fünf Jungs
und zwei Mädels. Einige von ihnen sind in Hausaufgaben vertieft, während die
anderen sich gegenseitig Klingeltoncharts vorspielen oder aber mit Stöpseln in
den Ohren abgekapselt vor sich hin starren. Ich komme mir ein bisschen vor wie
bei Expedition ins Tierreich : Die erste Kontaktaufnahme ist das
Wichtigste. Wenn die geschafft ist, ergibt sich der Rest von selbst. Aber
während ich mit Erwachsenen und Kindern mittlerweile Übung habe, sind Teenager
immer noch eine echte Herausforderung, erst recht in Rudeln. Einen kurzen
Moment habe ich Sorge, dass sie meine Angst riechen können, aber das ist
innerhalb dieses Luftgemischs wohl ausgeschlossen. 
    – Hmm, irgendwie
scheint mich keiner gehört zu haben. Besser, ich versuche es noch einmal. „Äh,
hallo!!?“ Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und schiebe meinen Körper weiter
in das Blickfeld der Clique, wobei ich mein verbindlichstes Lächeln versuche.
Nur keine plumpen Vertraulichkeiten! Es gibt nichts Peinlicheres als
Erwachsene, die den Coolen spielen und meinen, damit chamäleonartig die Gruppe
unterminieren zu können. Vor meinem geistigen Auge erscheint Sven, wie er sich
in der gleichen Situation lässig auf eine Sessellehne plumpsen lassen, die
dreckigen Schuhe auf dem Tisch ausstrecken und „Was geht aaaab!!?“ krähen
würde. Da versuche ich es doch lieber auf meine Art. Allerdings bin ich froh,
nach der gestrigen Igelgeschichte heute eher leger gekleidet zu sein. (Für den
Fall, dass ich schon wieder in die Wildnis geschickt würde. Was ja auch
irgendwie eingetreten ist.)
    Plötzlich
richten sich sieben Augenpaare auf mich und mustern mein unverfängliches Outfit
und das Aufnahmegerät in meiner rechten Hand. Mein Lächeln wird noch breiter,
und ich hoffe, dass niemand den zittrigen Krampf in meinen Mundwinkeln bemerkt.
„Hey, ich komme von Totallokal und wollte euch fragen, ob ihr mir bei
einem Beitrag helfen wollt?“
    Skeptische
Blicke. Aber hier und da sehe ich auch Interesse aufflackern. Jetzt kommt es
drauf an. „Worum geht es denn?“, fragt mich dann tatsächlich einer der Jungs,
während er bemüht gleichgültig weiter auf seinem Handy herumdaddelt. Er ist
ziemlich groß, hat eine Baseballkappe auf den durchgegelten Haaren sitzen und
trägt teure Klamotten. Da er für sein Entwicklungsstadium recht gut aussieht
und außerdem geradeaus reden kann, erkläre ich ihn kurzerhand zum Sprecher der
Gruppe und hoffe, damit nicht falsch zu liegen.

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