Liebe 2.0
etwas wie das Buch
der Bücher?“, fragt er grinsend.
„Ja, genau. So
ähnlich.“ Ich nicke ernsthaft, merke jedoch, wie es auch in meinen Mundwinkeln
merklich zuckt.
„Nun.“ Ein
kurzes Räuspern, und Martin ist wieder ganz der seriöse Schriftsteller. „Vorausgesetzt,
man findet dieses Buch der Bücher…“
„Ja, sicher“,
lenke ich ein. „Vorausgesetzt, man findet es.“
Wir gucken uns
an und werden plötzlich beide ernst. Und diesmal habe ich nicht einmal
ansatzweise eine Ahnung, was er denkt. Geschweige denn, was ich selber denke.
Schließlich
steht Martin schwungvoll aus seinem Sessel auf und reicht mir die Hand. „Genug
philosophiert. Jetzt sehen wir erstmal zu, dass wir dich mit etwas Gutem zu
essen aufpäppeln.“ Energisch schiebt er mich in Richtung Küche, wo wir nach
kurzer Absprache friedlich nebeneinander Gemüse putzen, als hätten wir nie
etwas anderes gemacht.
„Ich muss dich
warnen“, sage ich jedoch, als Martin heißes Wasser aufsetzt und Öl in die
Pfanne gießt. „In meiner Familie gelte ich als berüchtigte Essensverhunzerin.
Am besten, ich nehme mir noch einen Campari und stelle mich auf die andere
Seite der Theke. Und du zauberst mir was vor.“ All meinen Liebreiz aufbietend,
lächle ich Martin an.
„Aber nur unter
einer Bedingung.“ Martin greift zu seinem eigenen Glas und gibt den knallharten
Verhandlungspartner. „Da vorne liegt der Romananfang, den du mir mit der
letzten Mail geschickt hast.“
Er nickt mit dem
Kopf in Richtung Esstisch, und tatsächlich erspähe ich neben einer leeren
Obstschale mir durchaus vertraute Buchstaben – ein komisches Gefühl. Ich gehe
rüber, nehme den Stapel von circa dreißig Seiten in die Hand und halte ihn
hoch. „Was ist damit?“
Martin genehmigt
sich erst einen Schluck, bevor er antwortet. „Ich bin nicht ganz bis zum
Schluss gekommen – lies es mir vor!“
Nach kurzem Zögern setze ich mich neben ihn auf die Anrichte, blättere
mich durch die Seiten, überfliege Martins unentzifferbare Anmerkungen und
beginne genau dort zu lesen, wo sie aufhören.
„ Ich sitze
ihm gegenüber und starre ihn an, unfähig, etwas zu sagen. Zu wenige Worte für
zu viele Gefühle. Und so kapituliere ich noch vor dem ersten Versuch. Gebe uns
kampflos auf, aus Angst, am Ende mehr zu verlieren als nur diese eine Schlacht… “
Zunächst ist
meine Stimme noch unsicher. Die Worte fühlen sich sperrig an in meinem Mund –
zu fremd, um tatsächlich mir zu gehören, und doch zu intim, um sie vor einem
Fremden vorzutragen. Doch nach und nach füllen sie den Raum, setzen sich in
Nischen und Ecken und legen sich wie eine schwere Decke auf meine Schultern.
Immer mehr lasse ich mich von der düsteren Atmosphäre gefangen nehmen, die ohne
mich doch gar keine Macht hätte.
„ Es heißt,
im Krieg und in der Liebe sei alles erlaubt. Aber woher kommt diese Großzügigkeit?
Ist sie nicht letztlich nur dazu da, um unsere Einsätze ins Unermessliche zu
steigern und am Ende groß abzuräumen? Kopf – ich verliere. Zahl – die Bank
gewinnt. Romantik scheint nichts anderes zu sein als ein aufregend schillernder
Las Vegas-Trip, der uns zwar kurzzeitig den Alltag vergessen lässt, an dessen
Ende jedoch alle bankrott nach Hause fahren… “
Ich gerate
erneut ins Stocken, was nicht zuletzt auch daran liegt, dass ich immer öfter
versuche, unauffällig einen Blick auf Martin zu werfen. Der schwenkt voller
Konzentration das Gemüse, wobei sich eine steile Denkfalte in seinem eh schon
knitterigen Gesicht bildet. Und obwohl ich selbst nicht viel vom Kochen
verstehe, so kann ich mir doch kaum vorstellen, dass es eine derart ernste und heikle
Sache ist, dass man dabei so ein Gesicht ziehen muss. Woraus ich folgere, dass
sich die Falte auf mich und mein Geschreibsel bezieht. Na großartig! Nervös
lese ich weiter.
„ Verlieben
und verlieren – sollte ein einziger Buchstabe tatsächlich die Kraft besitzen,
diese zweieiigen Zwillinge ausreichend voneinander zu unterscheiden? Ich glaube
nicht. Dabei würde ich nur zu gerne glauben… “
Ich schaue
immer hektischer vom Manuskript zu Martin und wieder zurück, doch weder hier
noch dort erhalte ich Antwort auf meine fragenden Blicke. Fast verliere ich
darüber komplett den Faden, bringe das Ganze dann aber doch noch halbwegs glatt
zum vorläufigen Abschluss.
„… und
daran, dass Romantik nicht bloß eine Erfindung der Regierung ist und als
Geheimakte zwischen den Hitlertagebüchern und den Studio-Aufnahmen
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