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Liebe 2.0

Liebe 2.0

Titel: Liebe 2.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mareike Giesen
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eine
Distanz, die jedoch für die nächsten drei Sekunden vollkommen aufgehoben ist.
Martins verhohlene Begehrlichkeit, mit der er mich unklammert, strahlt in
Wellen direkt in meinen Körper über, und ich schmecke eine herbe Süße, die mir
spontan zusagt. Ich habe wirklich keine Ahnung, was wir hier machen, aber
irgendetwas sagt mir, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt zum Nachdenken
ist.
    Nach einer
gefühlten Ewigkeit lösen wir uns voneinander, und als sei nichts geschehen,
ziehe ich mich weiter an und drehe mich dann wieder zu Martin um. „Danke für
den schönen Abend!“
    „Ich habe zu
danken.“
    Schweigen.
Lächeln.
    Dann hören wir
das Taxi hupen, und Martin begleitet mich nach draußen. Er wendet sich an den
Fahrer und reicht ihm etwas durchs Fenster. „Dass Sie mir die junge Dame gut
nach Hause bringen.“ Dann dreht er sich noch einmal zu mir um. „Es gibt sie,
die Romantik. Vertrau mir.“
    Martin gibt mir
einen letzten Kuss auf die Stirn, hilft mir in den Wagen und schlägt danach die
Autotür zu. Der Taxifahrer fährt langsam an und bringt wohl oder übel wieder
neuen Abstand zwischen uns. Die Lichter der Straßenlaternen erhellen regelmäßig
mein Gesicht, auf dem die frischen Küsse brennen, während ich nach draußen ins
Schneetreiben starre. Da hätten wir sie also doch: die nächste, wohl hundertste
Baustelle in meinem Leben.

Sechsunddreißig
    Ach ja: Baustellen! Was waren das
noch für Zeiten, als ich als Praktikantin morgens um fünf zur Baustelle an der
Kennedy-Brücke radeln musste, um von den Bauarbeitern O-Töne über den Fortgang
der Restaurierungsarbeiten einzufangen. „Jooo. Muss. Ne?!“ Auch wenn ich es
damals noch nicht wusste: Es waren paradiesische Zustände! Heute hat Thomas
mich dazu verdonnert, den Heimatkunstverein Jeder kann malen e.V. zu
besuchen, der anlässlich der bevorstehenden Feiertage seine Clubkasse mit einer
selbst organisierten ‚Vernissage’ aufbessern will. Schon das anmaßende
Clubmotto wirkt auf mich wie eine Drohung, und als ich die provisorisch zum
Künstleratelier umdekorierte Doppelgarage betrete, komme ich mir vor wie in
einer Selbsthilfegruppe für Geschmacksverirrte. Umzingelt von Skulpturen aus
Joghurtbechern und Aquarellen mit sprechenden Titeln wie Zyklus Leipziger
Allerlei , lausche ich den Ausführungen einer gewissen Frau
Kreuzer-Almpfühl, die uns barfuß und mit selbstgetöpferten Ohrringen durch die
Ausstellung führt. Und mit jedem weiteren Objekt, das sie uns vorstellt, wächst
meine Verzweiflung. Wie zum Henker soll ich hierüber ernsthaft berichten? Da
kann ich ja gleich eine Kunstkritik über Claras Kindergartenmappe verfassen!
    „Ein wichtiger
Aspekt, der die Kunst unseres Laienvereins auszeichnet, ist Naivität“, erklärt
Frau Kreuzer-Almpfühl, während meine Kollegen fleißig mitschreiben. Naivität –
da liegt der Hund begraben! Wie naiv bin ich eigentlich, dass ich glaube,
diesen Job noch eine Zeit lang durchhalten zu können? Es geht einfach nicht!
Ich will nicht mehr! Ich kann nicht mehr! Als Frau Kreuzer-Almpfühl uns jetzt
auch noch in einen separierten Pavillon führt, in dem erotische Hausfrauenkunst
ausgestellt wird, frage ich mich ernsthaft, ob ich wirklich die Einzige unter
den Anwesenden bin, die ihren Beruf hasst.
    „Sie sehen also:
Unser Verein hat wirklich für jeden Geschmack etwas zu bieten“, beendet Frau
Kreuzer-Almpfühl endlich unseren Rundgang durch die Niederungen der
Heimatkultur. „Wenn Sie noch ein paar Fotos machen wollen?“, wendet sie sich
dann an Michael, der diesmal mit von der Partie ist. „Ansonsten stehe ich für
Nachfragen gerne zur Verfügung.“
    Das ist mein
Stichwort. Während die Kollegen von der Zeitung zusehen, dass sie das Weite
suchen, suche ich mir mit Frau Kreuzer-Almpfühl einen freien Quadratmeter
zwischen einigen Mobiles aus Essbesteck und starte mein Aufnahmegerät samt
üblichem Fragenkatalog: Wer hatte wann warum die Idee zur Gründung des Vereins?
Wer machte hier mit? Wie ist die Ausstellung zustande gekommen? – Im Grunde
genommen müssen die Interviewpartner uns gegenüber immer all das wiederholen,
was sie vorher schon gesagt haben, weswegen die meisten uns vom Radio für
ziemlich begriffsstutzig halten.
    Auch Frau
Kreuzer-Almpfühl wird langsam etwas ungeduldig, aber sobald ich mit der Pflicht
durch bin, folgt die Kür. Jetzt wird sich zeigen, ob aus dem Beitrag vielleicht
doch noch etwas herauszuholen ist.
    „Welches Stück
aus der Ausstellung gefällt Ihnen

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