Liebe 2.0
hin, das kann sich für
euch echt lohnen!“ erntete ich ein dreifaches Lächeln, das vor Zahnbrillis und
Piercings nur so strahlte. Und danach trennten wir uns wie alte Freunde.
Das ist das Schöne an meinem Job:
Die vielen Kurzzeitbegegnungen, die ich habe. Ich lerne Menschen kennen, mit
denen ich privat niemals ein Wort wechseln würde. Sei es, weil sie älter sind
als ich oder jünger, klüger oder dümmer, eine andere Musikrichtung hören,
andere Filme gut finden, einen anderen Klamottengeschmack haben, einem anderen
Job nachgehen, was anderes essen, was anderes trinken – was weiß ich, was uns
alles in der Auswahl unseres Bekanntenkreises bestimmt.
Zeitgleich aber
ist genau das auch das Schreckliche an meinem Job: Die vielen Kurzzeitbegegnungen,
die ich einfach immer habe, jeden Tag, ob ich will oder nicht.
Dabei kommt es gar nicht mal so sehr darauf an, ob der Mensch, der mir
gegenüber steht, sich tatsächlich groß von mir unterscheidet. Ob er lieber Pop
hört statt Metal, lieber Sushi isst als Döner, ob er John Travolta für einen
guten Schauspieler hält oder Stephenie Meyer für eine gute Autorin… Aber die
Tatsache, dass ich selber tagtäglich gezwungen bin, meine Enklave zu verlassen
und hinaus zu gehen in die Reiz überflutende Welt der Anderen – das schlaucht
schon! Mir ist halt nicht jeden Tag danach, neue Bekanntschaften zu knüpfen,
wildfremde Menschen anzuquatschen und mich für kurze Zeit vollständig ihrem
Wohl- oder Schlechtwollen auszusetzen, nur um halbwegs meine Arbeit machen zu
können.
Ich hasse diese Abhängigkeit. Doch vielleicht gewöhne ich mich ja eines
Tages daran und lerne, mich besser auf fremde Leben einzustellen. Oder aber ich
schaffe es, in mein eigenes Leben zurückzufinden und seine Spur wieder
aufzunehmen. – Ach je, wo wir gerade beim Thema sind: Mein für morgen geplanter
Gesangsbeitrag ist so gut wie fertig, als mir das Schnittsystem mal wieder
einen dicken Strich durch die Feierabendrechnung macht. Die Tonspur sämtlicher
O-Töne ist auf einmal zerstückelt, weshalb ich jetzt, während alle anderen
nacheinander ihre Sachen zusammensuchen und entspannt ins Wochenende starten,
panisch die Archivordner nach der im Schweiße meines Angesichts erbeuteten
Originalaufnahme durchsuche. Verdammt!
Zum Glück habe ich die Nachwuchstalente
bald aufgespürt und mache mich zügig noch einmal ans Werk. Liebes
Cut-Programm, bitte, bitte, lass mich nicht im Stich! Wenn mich etwas noch
mehr verunsichert als fremde Menschen, dann ist das die vermeintlich vertraute
Technik! Doch der zweite Anlauf scheint zu klappen: Nach und nach habe ich alle
unappetitlichen Lungenputzer und sämtliches nicht-jugendfreies Gegröle
herausgeschnitten und das verwertbare Material zu sauberen kleinen Einspielern
zusammengesetzt. Jetzt muss ich nur noch meinen eigenen Senf hinzugeben, und
das Wochenende kann kommen!
Zufrieden
schnappe ich mir meine Notizen und laufe quer durch das mittlerweile leere
Großraumbüro ins Studio B, um den von mir vorbereiteten Text einzusprechen und
mit den jeweiligen Gesangsdarbietungen zusammenzufügen. Fast gruselt es mich
ein bisschen, als ich so allein im halbdunklen Studio sitze und auf der Suche
nach der richtigen Intonation über die Kopfhörer in mich hinein lausche. Und
dass ich mich aus irgendeinem Grund beobachtet fühle, macht die Sache nicht
gerade besser! Langsam lasse ich meinen Spickzettel sinken und schiele
unauffällig nach rechts – niemand zu sehen. Ich schiele nach links… und mir
bleibt fast das Herz stehen. In Studio A steht tatsächlich einer!
Sofort kommen
mir zig Psychokiller-Filme in den Sinn, während der Adrenalinstoß mein Blut in
den Ohren rauschen lässt. Aber nur für einen kurzen Moment. Denn dann merke
ich, dass es Max ist, der da durch die Glasscheibe zu mir herübergrinst. Jetzt
hebt er auch noch die Hand und winkt leicht!
Mein Herz macht
einen weiteren Satz, und eine neue Ladung Adrenalin wird ausgeschüttet – wenn
auch jetzt aus anderen Gründen. Halb ärgerlich schüttele ich den Kopf und drehe
mich brüsk ab. Konzentration! Ich kneife meine Augen zusammen und fixiere
meinen Text, doch der Profi in mir scheint schon Feierabend gemacht zu haben.
Ich brauche etwa zwanzig Anläufe, um den Beitrag im wahrsten Sinne spruchreif
hinzubekommen, und erst als die letzte Silbe aufgezeichnet ist, wage ich einen
erneuten Blick ins Studio A. Es ist leer . Auch gut. Ach was, besser!
Ich speichere
meinen Beitrag für die
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