Liebe 2000
Jung e . Un d d a n n nac h eine r Weile:
»Eigentlic h heiß e ic h Gilbert , doc h all e nenne n mich Gil.«
Ers t späte r merkt e er , wi e seltsa m diese r Sat z klin gen mu ßte. All e nannten ihn Gil! Welch ein Hohn …
» K o m m näher«, sag t e das Mädch e n. Er beäugte mißtrauisc h ihr e Waffe.
»Komm «, sagt e si e au s eine m plötzliche n Impuls.
»E s wa r mein e letzt e Patrone . D u brau c h s t kein e Ang s t
z u hab e n . Un d wa s hätt e ic h d a von, dich u m zubr i ngen . «
Si e wa r a nscheinen d selbs t fro h darüber , r ede n z u können . Unsiche r tra t e r einig e Schritt e näher . Sie zuckt e nich t einmal , al s e r sein e groß e kno c hig e H a nd au f ihr e S c hulte r legt e . »Hallo« , sagt e er . Al s e r die Han d dan n wiede r wegzi e he n wollte , zerri ß de r morsch e Stof f vo n de r Schulte r bi s zu r H ü ft e un d legt e ihre kleinen , harte n Brüst e frei.
»Ne i n! « sagt e si e angstvoll . »Nein! « Un d si e schrie. Ih r Schre i hatt e etwa s Befreiendes . Keine r vo n bei de n hatt e e s i n de n letzte n T a ge n gew a g t z u schreien. Doc h ihr e grelle , klirrend e Stimm e löst e unzählig e Resonanze n aus , legt e Versch ü ttete s frei , überflutet e die Häuse r un d Straß e n m i t eine m erlösend e n Aufatmen, und selbst die Sonne brach für einen A u genblick h i nter de n W o lk e n schleier n hervo r un d lie ß di e Stad t erglänze n wi e eine n riesigen , wärmende n Kristall.
»E s is t j a alle s gut« , sagt e Gil und d r ückte sie an sich . »E s is t j a alle s gut . Alle s wir d wiede r gut . Ic h bin j a be i dir . I c h bi n j a be i d i r , Mädchen . Wi r bleibe n zu sam m en. I mme r bleiben wir zusa mme n …«
Wi e ei n Sturzbac h brac h e s a u s ih m hervor . Er wiegt e si e i n seine n A rm en ; si e bar g d e n K o p f m i t den langen, n a ssen Haaren an seine r Brus t un d weinte he mm ungs l os, währ e n d seine F i nger ihr üb e r den bloße n Rücke n strichen . M i t einemma l wurd e ih m be wußt, d a ß er nackt w a r, und plö t zlich ließ er die Ar m e wiede r fallen , wi e u m sein e Blöß e z u bede c k e n.
»E s mach t nichts« , s a gt e da s M ä dch e n , al s hätt e es seine Ged a nk e n gelesen.
Er lächelte, und fast wunde r te er sich, daß er es no c h konnte.
»Ne i n« , sagt e er , »ic h gla u be , jetz t mach t e s wirk lich nichts me hr. Ich habe d e in e n Schuß g e hört«, sagte er , al s si e di e Straß e hinunterg i ngen , wobe i si e danach trachteten , di e Kad a v e r , di e au f de m Pflaste r verfaulten , z u meiden . »I c h wußt e ga r nicht , wa s jetz t eigent lich geschehen war, e s war so – so vol l ko mme n unmöglich , ic h wei ß nicht , wie ich es sagen soll –«
» D u br a u c hst dich n i cht zu en t s chuld i gen«, sagte sie . »Ic h hätt e nich t ander s geh a ndelt.«
» W orauf hast du geschossen ? «
»Ein e Ratte.«
»Ja« , ni c k t e er . »Si e halte n sic h verdamm t lange, dies e Biester . Ic h hätt e e s selbs t nich t g e g l aubt , aber si e sin d verdam m t zäh . Häng e n a m Leben , verstehst du . Rei n instinktiv . Haß t d u di e Ratte n auc h so?«
»H m- h m !« sagte das Mädch e n.
Si e überquerte n de n Markt , w o sic h ei n Lastwagen so in den Brunn e n verbiss e n h a tte, daß er die halbe Straß e ver s perrte . Si e m achte n eine n Boge n u m ihn, ka me n aber nicht u m h i n, das Gesicht des toten F a hrers zu erblick e n, eine b l utver s chmierte , vertrocknet e Kno chenmasse, in der sich bun t schillernd e Bakterienkultu ren bekä mp ften.
»S c h a u ni c ht hin« , sagt e de r Junge . E r zerrt e si e am Arm.
Dan n rann t e n si e a n de n H ä user n vo r be i un d zum Mee r hinab.
E s wa r di e Zei t de r Flut . Di e Boot e de r Fischer schaukelte n a n de n Stegen , z w ische n dene n sich schwärzlich e Ölfläche n ausbreiteten . Di e Welle n und der Wind hatten den s ä ue r lichen Fischge r uch vom Kai weggespült, so daß er jetzt als tote, a m orphe Betonmass e i n de r Sonn e lag.
Da lagen die Evensta r , di e Sunse t Boul e vard , die Deutsch l and un d di e Ann a Mari a . Der Junge k a nn t e si e alle , doc h jetz t schiene n si e sic h veränder t z u haben . Di e Anna Maria mi t ihre m schwarze n Schornstein und d e n roten Seitenstreifen kannt e e r a m besten . Sie hatt e seine m Vate r gehört.
Abe r nu n gehört e si e niemande m mehr . Da s wa r es, dacht e de r
Weitere Kostenlose Bücher