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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kreuz über den Schädel. Der Alte wankte, aber er wich nicht.
    »Aus dem Weg, du gottloser Kesselflicker!« brüllte Ifan. »Es geht hier um eine Seele, und sie gehört mir!« Er hob das Kreuz wieder hoch empor und wollte erneut in seinen Gesang fallen, als Kolzow den Ausweis des KGB aus Jelenas starren Händen riß und ihn dem Popen hinhielt.
    »Und das?« schrie er. »Und das, Vater Ifan? Kannst du's lesen? Vom KGB ist sie! Haha! Warum singst du nicht? Verschlägt es dir die Stimme? Bleiben die Töne wie Klöße sitzen? Rutschen sie dir in den Bauch, und du furzst sie aus? Vom KGB! Lies es –«
    Väterchen Ifan las den Ausweis nicht – auch er kannte diese Legitimationen. Er warf das Kreuz auf den Tisch, winkte den beiden verschlafenen Chorknaben, hinaus in den Vorraum zu gehen, und setzte sich auf die Tischkante. Erinnerungen tauchten auf wie höllische Visionen: Die Gefängnisse in Rostow und Stalingrad. Vier Jahre Straflager in Sibirien, in den Wäldern von Werschne Tarinsk, zwei Jahre in den Steinbrüchen von Nowo Kalinka. Hunger, Schläge, Krankheit. Der Lagerkommandant, breit, lachend, die Nagaika in der Faust, diese fürchterliche Geißel mit nadelspitzen Stahlhaken am Ende der Schnüre. »Ifan Matwejewitsch – vortreten! Hosen runter! Sprich mir nach: Maria, die Mutter Jesu, war eine Hure!« Und er sprach es nach, denn er kannte die Nagaika und wußte, wie die Haken Fetzen aus seinem Rücken reißen konnten. Aber im stillen betete er dabei: »Herr, vergib ihnen und vergib mir … ich bin auch nur ein schwacher Mensch und habe Angst vor dem Sterben –«
    Vater Ifan nahm seine goldbestickte Kappe von den weißen Haaren und schob Kolzow aus der Tür. Allein stand er vor der toten Jelena und sah sie lange an. Hinter ihm weinte Evtimia und flüsterte ihm in den Nacken: »Auch sie war ein Geschöpf Gottes. Wir alle sind voller Sünde –«
    Ifan nickte. Er ging zurück ins Wohnzimmer, nahm sein Kreuz und legte es über die starre Jelena. Der Schnittpunkt zwischen Längs- und Querbalken lag genau auf ihrem Gesicht, und es war die Stelle, wo sich auch der Kopf Jesu befand. Es sah aus, als küsse sie ihn.
    »Gott vergibt –«, sagte Vater Ifan dumpf. »Er ist stärker als wir schwachen Menschen.« Dann nahm er das Kreuz wieder hoch, legte den rechten Arm darum und blickte die Kolzows durchaus weltlich an. »Was nun?« fragte er. »Es ist doch wohl klar, daß wir sie nicht normal begraben können. Ob Unglücksfall oder Notwehr … die Genossen vom KGB werden nach Perjekopsskaja kommen, uns verhören und die Wahrheit erfahren. Und sie erfahren die Wahrheit! Wir kennen ihre Mittel.«
    »Bei Gott, ja. Die kennen wir«, sagte Kolzow düster. »Was wir auch tun … sie werden immer zu uns kommen. Sicherlich hat Jelena längst nach Moskau gemeldet, daß sie bei uns ist.« Er nickte zu Bodmar, der neben Njuscha stand und sie umfaßt hielt. »Und er? Er hängt jetzt in der Luft wie ein verlassenes Nest.«
    »Sascha bleibt bei uns!« sagte Njuscha. Sie umarmte Bodmar, und sie wirkten wie ein Paar, das sich umschlungen hält und so im Wasser versinkt. »Wenn es nötig wird, verstecken wir ihn …«
    »Verstecken? Ist er ein Ei, das man unters Stroh schiebt? Er kann doch nicht sein ganzes Leben lang in einem Verschlag sitzen? Ist er ein Kaninchen?«
    »Ich schlage vor«, sagte Vater Ifan weise, »daß du die Genossen zusammenrufst. Eine außerordentliche Versammlung. Heute nacht noch. Und ich glaube, daß es klug wäre, Jelena Antonowna verschwinden zu lassen.«
    »So einfach verschwinden?« fragte Kolzow atemlos.
    Vater Ifan breitete die Arme aus wie zum Segen. Sein langer Bart bebte. »Jelena Antonowna und Eberhard Bodmar sind weitergereist«, sagte er fast feierlich. »Heute gegen Mittag haben sie Perjekopsskaja verlassen. Nach Wolgograd wollten sie, haben sie zum Abschied gesagt. Sie fuhren an meiner Kirche vorbei, und ich winkte ihnen zum Abschied zu.«
    »Und ihr zusammengedrückter Wagen liegt hinten bei mir im Schuppen.«
    »Das ist dein Problem, Dimitri Grigorjewitsch. Etwas denken mußt auch du –«
    Vater Ifan nahm sein Kreuz, verließ die Stube, sang im Vorraum noch eine Strophe des unterbrochenen Liedes und verschwand dann mit seinen Chorknaben in der Nacht. In der Kirche stellte er die Ikonen wieder auf ihre Plätze, packte dann die beiden Jungen vorn an ihrem Hemd und schüttelte sie.
    »Was ihr gesehen habt, war ein Traum!« schrie er sie an. »Ihr wart nie mit mir in dieser Nacht bei einer

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