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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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trug ihn zu Njuscha und verließ dann das Zimmer. Sie schlürfte das heiße Getränk in kleinen Schlucken, legte dann den Kopf auf die Unterarme und blieb so auf der Bank sitzen. Die Decke zog sie über sich wie ein Leichentuch.
    Während Evtimia nach Beendigung der Aufbahrung aus dem Haus rannte, um Väterchen Ifan aus der Kirche zu holen, durchsuchte Kolzow in Gegenwart Bodmars das Gepäck Jelena Antonownas.
    »Wir müssen wissen, wen wir benachrichtigen sollen«, sagte er dabei. »Hatte sie noch Vater und Mutter? Brüder? Schwestern? Jeder Mensch hat irgendeinen Verwandten, Gott sei's geklagt.«
    »Ihr Vater starb in deutscher Kriegsgefangenschaft –«
    Kolzow schielte zu Bodmar und schwieg. Der Krieg, dachte er. In jeder Familie gab es einen Toten. Aber man kann es diesem Deutschen nicht ankreiden … er war ein Jüngelchen und spielte auf dem Fußboden, als das alles geschah.
    Bedächtig leerte er Jelenas Koffer. Er legte die Kleider und die Unterwäsche auf den Stuhl, betrachtete zwei Bücher – es waren Romane von Gorki – und hob zwei hauchzarte Nachthemdchen, kurz und mit Spitzen besetzt, in die Höhe wie zwei Fahnen.
    »Aus Paris«, sagte er. »Ganz bestimmt aus Paris. Jemand muß sie ihr geschickt haben. Oder war sie in Frankreich?«
    »Ich weiß es nicht.« Bodmar stand am Fenster und sah hinaus in die helle Nacht. In den Zweigen der Kirschbäume sang der Wind aus der Steppe. Die Pappeln und Birken rauschten. »Ich weiß nur, daß sie allein lebte.«
    Kolzow hatte eine kleine Tasche geöffnet, die voller Papiere war. Er setzte sich auf die Bettkante und schüttete den Inhalt auf die Decke. Ausweise und Autokarten fielen heraus, Schlüssel und eine Schere, zwei Briefe, ein Notizbuch und eine kleine Pistole. Verblüfft hob Kolzow die Waffe hoch.
    »Sie war bewaffnet«, sagte er ratlos. »Welch ein zierliches Ding. Der Griff ist mit Perlmutt ausgelegt. Ein Patrönchen wie ein Kinderzäpfchen … aber es reicht, wenn's ins Hirn dringt.« Und dann wurde er ganz still, klappte eine der Ausweismappen auf und blickte hinein. Als sei es Gift, schleuderte er das Lederetui von sich und sprang auf. »Wir müssen alles ändern –« sagte er. Seine Stimme war plötzlich rauh »Alles! Evtimia! Njuscha! Aufhören!« Er rannte aus dem Anbau, trat die Schlafzimmertür auf und riß eine der gespannten Girlanden von der Wand. Aber Evtimia war schon unterwegs zu Väterchen Ifan, und Njuscha rührte sich nicht von der Bank. Bodmar, der Kolzow nachgelaufen war, sah, wie der Alte die Fäuste ballte und gegen die Tote schüttelte. »Du Teufelin!« knirschte er. »Du Höllenmißgeburt! Wolltest uns alle vernichten, was? O Gott, in was für eine Lage sind wir gekommen.« Er drehte sich zu Bodmar um, seine Augen waren rot unterlaufen vor Wut. »Weißt du, wer sie ist?« schrie er und riß die geschmückte Decke von der Toten. »Sieh dir ihren Ausweis an! Vom KGB ist sie, ein Leutnant der Geheimpolizei! Eine verdammte Schnüfflerin! Und Njuscha hat sie ersäuft! Was soll nur daraus werden? Sie werden uns ins Gefängnis werfen, uns alle. Das ganze Dorf.« Kolzow sank auf den Stuhl neben Jelena und sprang dann wieder hoch wie gestochen, blies die Kerzen vor dem heiligen Dimitri aus, riß alle Girlanden herunter, schleuderte die Blumen, die Evtimia liebevoll um die Tote gelegt hatte, gegen die Wand und hätte selbst das gestickte Totenhemd von Großmütterchen Kolzowa der Leiche vom Leib gezogen, wenn Bodmar ihn nicht festgehalten und aus dem Schlafzimmer gezerrt hätte.
    »Eine Geheimpolizistin«, knirschte Kolzow im Wohnzimmer und zerwühlte sich die Haare. Dann stürzte er auf Njuscha, riß sie unter der Decke hervor, umarmte und küßte sie und drückte sie an sich.
    »Mein Täubchen!« rief er dabei. »Mein Engelchen! Mein Herz!«
    Man muß die Vorgeschichte kennen, um den merkwürdigen Gefühlsausbruch des alten Kolzow zu verstehen.
    Es war noch in den Anfängen des Bolschewismus gewesen, als die gefürchtete GPU im Lande herrschte und alles in den Kerkern verschwinden ließ oder einfach mit einem Genickschuß aus der Welt schaffte, was nicht sofort mit der Lehre Lenins einverstanden war. Die größten Schwierigkeiten machten die Kosaken am Don, die wilden Reiter, die nur eine Autorität anerkannten: ihre eigene Kraft. Es dauerte lange, bis von Woronesch und Rostow die Kosaken in die Zange genommen wurden und man durch einige rücksichtslose Aktionen bewies, daß die wahre Macht in Moskau saß. Auch Dimitri Grigorjewitsch

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