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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Don.
    Noch während Kolzow die drei feurigen Gäulchen in die Troika schirrte, erschienen die ersten Mitleidenden am Zaun. Klitschuk, der Rennfahrer, stand da mit seinem Pferd, der Kaufmann und Fleischer Kotzobjew, der Sargmacher Tutscharin und natürlich der alte Babukin. Er trug seine vergilbte und schon farblos gewordene Kosakenkappe aus dem Ersten Weltkrieg und hatte sich den blanken Säbel an einem Riemen um den Bauch gebunden.
    »Es ist also wahr?« sagte Tutscharin, der Sargmacher. »Die Kerle aus Moskau kommen?«
    »Es ist wahr. Scheißt nicht schon vorher in die Hosen! Ein beschissener Hintern kann wie ein Geständnis sein.« Kolzow legte das Glöckchenband um die Pferdeschädel und putzte die Messingschellen mit dem Rockärmel.
    »Das ganze Dorf geht mit«, rief Babukin von seinem Roß, das vor Alter und Schwäche zitterte.
    Und so war es auch.
    Um die Mittagszeit hatten Njuscha und Bodmar alles verpackt, was sie mitnehmen wollten in ihr neues, unbekanntes Leben. Es waren zwei Bündel mit Kleidern und Wäsche, zwei Decken und zwei zusammengeknautschte Kissen. Alles andere, was sich in der Troika türmte, hatten Evtimia und Kolzow hineingeladen. Es sah aus wie der Umzug eines ganzen Hauses, und jeder wußte, daß nur die Hälfte in ein Eisenbahnabteil passen würde und auch nur dann, wenn man vorher alle anderen Fahrgäste hinauswarf. Es war zu bezweifeln, ob sie sich das gefallen ließen.
    Vater Ifan, der mit einem goldenen Kreuz auf der Brust und frisch gewaschenem Bart erschien, ein Anblick, den man sonst nur zu Ostern genießen konnte, kleidete das Problem in würdige Worte. »Wo soll ich sitzen?« fragte er und umkreiste die Troika. »Etwa auf den Bratpfannen und Töpfen?«
    Kolzow schaffte Platz. Er band riesige Bündel übereinander, schob Vater Ifan zwischen die Kisten, von denen nur Kolzow wußte, was sie enthielten, und rannte dann ins Haus.
    Dort ging Njuscha noch einmal durch die Zimmer und nahm Abschied. Sie küßte die Ikone im Schlafzimmer und ging von Gegenstand zu Gegenstand und berührte ihn mit den Händen. Ihre Kindheit, ihre Jugend, ihre schöne, kleine Welt blieb zurück in diesen Dingen. Evtimia sah ihr zu, die Hände gegen den Mund gedrückt. Vor einer Stunde war sie stumm geworden … es gibt ein Leid, das lautlos macht.
    Bodmar stand mit gesenktem Kopf unter der Haustür und wartete. Das Schuldbewußtsein zernagte ihn. Erst als Njuscha neben ihn trat und nach seiner Hand tastete, hob er den Kopf und blickte sie aus trüben Augen an.
    »Ich bin glücklich, Sascha …«, sagte sie leise und lehnte sich gegen ihn.
    »Das ist nicht wahr«, sagte er ebenso leise. »Du blutest innerlich. Du verblutest, Njuscha …«
    »Wie kannst du das wissen, Sascha?« Sie warf sich herum schlang die Arme um seinen Hals und küßte ihn vor aller Augen. »So glücklich bin ich«, sagte sie dann. »Sascha, wir fahren in unser eigenes Leben … in unser Leben. In vier Stunden gehört die Welt uns … die ganze Welt, Sascha.«
    »Eine Welt, wie sie den Ratten gehört –«
    »Wer weiß denn, ob nicht auch Ratten glücklich sein können?«
    Bodmar biß sich auf die Unterlippe. Die Liebe Njuschas überwältigte ihn, aber sie gab ihm plötzlich auch Kraft vor dem Unbekannten, dem sie entgegenzogen. »Komm«, sagte er und legte den Arm um Njuschas Schulter. »Können wir gehen?«
    »Wohin du willst, Sascha.«
    Sie stiegen die zwei flachen Stufen zum Vorgarten hinunter, und Evtimia ging hinter ihnen her, einen Kranz mit Strohblumen über ihre Köpfe haltend zum letzten Segen. Dann saßen sie im Wagen, die Reiter formierten sich, nahmen die Troika in ihre Mitte, und so verließen sie das Dorf, schweigend, feierlich, geschmückt wie zu einem Jahrmarkt, aber mit Mienen wie zu einem Begräbnis.
    Schweigend umkreisten sie die kleine bunte Kirche, fuhren einen Umweg am Ufer des Don entlang und schwenkten dann hinein in die Steppe. Njuscha kniete sich neben Bodmar auf den Sitz und starrte zurück.
    Die Reihe der Häuser, die alten Strohdächer und die neuen Schindeln … die Sandböschung am Don … die ergreifend kindliche Zwiebelkuppel des Kirchturms … die Gärten mit den Kirschbäumen … die Pappeln an der Straße … die Flechtzäune … da, das Haus des Schusters Kalinew … die Großmutter Klitschuks steht am Zaun und winkt mit ihrem Kopftuch … die Sabenkina hat ihr jüngstes Kind hochgehoben und zeigt ihm den schweigsamen Zug … und da ist Balwan, der Hund … o Balwan, räudiges Aas, bleib zurück …

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