Liebe am Don
sieh nur … unsere Pferdchen …«
Die breite Front der Kosaken rückte näher. Tutscharin, der nicht so gut reiten konnte – als Sargmacher hatte er sich immer nur um die Heruntergefallenen zu kümmern gehabt –, hatte sein Pferd an Vater Ifan abgetreten. Und das war nun ein Anblick, den man nicht vergaß. In seiner schwarzen Soutane, mit wehendem weißem Bart, der über seinem Kopf flatterte wie eine zerrupfte Fahne, das Kreuz in der linken Hand, jagte der Alte neben dem Zug her wie ein Geisterreiter. An den Fenstern aller Abteile standen die Reisenden und staunten. Nur der Lokführer Pretschurin, ein humorloser, gallenkranker Mensch, fand keinen Gefallen an dem wilden Ritt.
»Sie provozieren uns!« schrie er dem Heizer ins Ohr. »Die Kosaken machen uns lächerlich! Sollen wir uns von Pferden besiegen lassen? Mehr Dampf, Piotr! Feuer auf! Denen wollen wir es zeigen!«
Die Feuerung flog auf. Piotr, der Heizer, schaufelte wie wild. Pretschurin hieb den Hebel auf volle Fahrt. Die Lokomotive stöhnte auf, die Räder dröhnten, aus dem Schornstein quoll dichter Qualm.
»Und wenn der Kessel platzt!« schrie Pretschurin, der Humorlose. »Ich lasse mich nicht provozieren –«
Die Attacke der Kosaken hatte den Wagen Njuschas erreicht. Seite an Seite donnerten sie dahin … Reiter und Zug … und Kolzow sah noch einmal seine Njuscha, blickte in ihre großen blauen Augen und verging fast vor Schmerz. Dann wurde der Zug schneller, Pretschurin stieß helle Triumphschreie aus und tanzte auf seinem Lokführerstand wie ein Irrer … die Reiter und die Troika fielen zurück, und Kolzow hob noch einmal seine lange Peitsche.
»Njuscha!« brüllte er mit der ganzen Kraft seiner Lunge. »Njuscha –«
Dann blieb er stehen, ein einsamer, alter Mann mit drei zitternden, schweißnassen Pferden … wurde kleiner und kleiner ein Punkt nur noch auf der Steppe … ein dunkles Körnchen … ein Nichts …
»Väterchen –« sagte Njuscha zärtlich, ehe sie das Fenster schloß, »Gutes, tapferes Väterchen.« Dann setzte sie sich neben Bodmar legte ihre Hände in seinen Schoß und sah ihn mit hellen blauen Augen an. »Nun haben wir nur noch uns, Sascha. Es genügt für ein neues Leben.«
*
Am nächsten Tag traf die Autokolonne aus Wolgograd in Perjekopsskaja ein. Drei Wagen mit Miliz, ein großer Wolga mit einem Offizier im Fond. Sie fuhren zum Parteihaus und stellten sich so, als müßten sie das Haus abschirmen. Rebikow, dem Magazinverwalter, wurde es übel … er lehnte aus dem Fenster und würgte vor Angst.
Dimitri Grigorjewitsch Kolzow erwartete den Besuch in seinem Büro. Er hatte sich in sein Sonntagszeug geworfen. Blaue Hosen, eine blaue Jacke, ein rotes Hemd. Die Stiefel hatte Evtimia in zweistündiger Arbeit gewichst. Man konnte sich in ihnen rasieren. Auf der Brust trug Kolzow seine Orden. Drei Tapferkeitsmedaillen.
Major Tumow beachtete das alles nicht. Er kam ins Zimmer wie ein Henker, zeigte mit dem ausgestreckten Arm auf Kolzow und fragte: »Sind Sie der Dorfsowjet Kolzow?«
»Jawohl, Herr Major!« sagte Kolzow militärisch knapp. »Ehemaliger Wachtmeister im 2. Kosakenregiment von Woronesch …«
»Sie sind verhaftet!« Tumow sagte es mit einer Kälte, die Kolzow wie einen Eishauch spürte. »Treten Sie hinter dem Tisch vor, und stellen Sie sich an die Wand! Dort bleiben Sie stehen, solange ich mit Ihnen spreche, und wenn es eine Woche dauert! In meinem Gehirn gibt es einen Begriff nicht: Zeit!«
Der Teufel war nach Perjekopsskaja gekommen …
A CHTZEHNTES K APITEL
Fünf Stunden dauerte das Verhör, und fünf Stunden lang stand Kolzow vor dem Schreibtisch, die Beine gespreizt, die Hände an den Seiten herunterhängend, den Kopf etwas gesenkt, aber sonst unbeweglich wie ein Klotz aus Pappelholz. Nur seine Lippen bewegten sich, wenn er Antwort gab, und seine Augen hatten Leben, ein dumpfes, ergebenes, aber unerschütterliches Leben, das keine noch so schnelle und hintergründige Frage erschütterte.
Major Tumow hatte Zeit – er hatte es ja gleich zu Anfang laut genug verkündet. Für ihn waren diese fünf Stunden dennoch anstrengender als für Kolzow, der sich dauernd auf der Hut befand, der jedes Wort abwägen mußte, um sich nicht zu verraten, der gegen die Müdigkeit und gegen eine Schwäche in den Beinen zu kämpfen hatte und schließlich gegen eine völlige Gefühllosigkeit seines gesamten Unterkörpers. Denn wer kann schon unbeweglich fünf Stunden stehen und dabei dauernd auf der Flucht vor einer
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