Liebe am Don
bleib stehen, du Hundevieh, lauf doch nicht mit … soll ich weinen … warum bellst du nicht, warum läufst du hinterher mit gesenktem Kopf – Balwan, mein Liebling, mein Teufelsbiest … komm nicht nach … bitte, bitte …
Njuscha kniete und sah über das Gebirge des Gepäcks auf ihre versinkende Heimat. Die Dächer wurden flacher und kleiner, der Kirchturm sah aus wie ein Zuckerhut, hinter den Pappeln ahnte man nur noch den Don … und dann war nur noch der weite Himmel da, der auf die Steppe stieß, der Himmel, der alles aufsaugte … die Jugend, die Häuser, den Fluß, die Straße, die Menschen, Perjekopsskaja, alles, alles … Nur die Steppe blieb übrig und der Himmel … grün und blau … und der Wind war da, der ewige Wind aus den Weiten Asiens, und es roch nach Gras und wilder Minze …
»Es ist vorbei«, sagte Njuscha, rutschte neben Bodmar auf den Sitz und ergriff seine Hände. Sie waren kalt, wie in Eis gelegt. »Es hat nicht ein bißchen weh getan.«
Dann legte sie den Kopf an seine Schulter und weinte.
*
Logowskij ist eine Bahnstation, so verrückt das auch ist. Man muß sich das einmal vorstellen: Links Steppe, rechts Steppe, hinten und vorn Steppe, überall diese gleichförmige Eintönigkeit von Gras und Staub … und mitten hindurch hat man einen Schienenstrang gelegt und ein Holzhaus daran gebaut mit einem Stationsschild. Das ist Logowskij.
Die Bauern und Kosaken sagen: Logowskij ist entstanden, weil die Eisenbahningenieure auf der Karte sahen, daß die Strecke zu lang ist und unbedingt zwischendurch eine Pause eingelegt werden muß. Da haben sie den Finger auf die Karte gelegt, fanden die elende Siedlung Logowskij und sagten: Hier, Brüder, halten wir.
Im Laufe der Jahre allerdings hatte sich der Ort zu einem wichtigen Platz entwickelt, ohne seine Häßlichkeit verloren zu haben. Von hier aus wurden die Produkte der Kolchosen verladen und nach Wolgograd gefahren; die Bauern reisten von hier aus in die Stadt, jedes Jahr sammelten sich hier die Pferdetransporte, und der große Tag Logowskijs war es, als Stalin auf der Fahrt nach Stalingrad gerade hier den Zug halten ließ und aus dem Fenster seines Salonwagens zu den Kosaken sprach. Insofern ist Logowskij sogar historisch, denn noch heute steht am Bahnhof eine Stalinplastik aus bemaltem Gips, obwohl im ganzen Land die Standbilder des Großen Helden unter dem Abbruchhammer fielen.
Die Kolonne aus Perjekopsskaja erreichte den Bahnhof von Logowskij gegen Abend. Babukin und der Sargmacher Tutscharin ritten dem Trupp voraus und kauften für Njuscha und Bodmar die Fahrkarten nach Wolgograd. Sie erfuhren dabei, daß der nächste Zug in zwanzig Minuten eintraf, jagten zurück und schrien schon von weitem: »Schneller! Schneller! Der Zug kommt!«
Kolzow hieb auf seine Gäulchen, sie streckten sich, Vater Ifan klammerte sich an Evtimia fest, und so rasten sie das letzte Stück in einem Höllentempo über die Steppe, rasselten wie eine ganze Schwadron Reiter über den Bahnsteig und lockten damit den Bahnvorsteher Sergius Antonowitsch Alanow aus seinem Büro.
»Hier ist kein Jahrmarkt!« brüllte er und fuchtelte mit beiden Armen durch die Luft. »Herunter vom Bahnsteig! Belästigt nicht die anderen Genossen! Ein Bahnhof ist für alle da! Was ist das für ein Benehmen!«
Babukin, der Urvater, zog seinen Kosakensäbel und ritt an den brüllenden Alanow heran. »Freunde«, rief er dabei. »Im Jahre 1914 habe ich einem Deutschen mit einem Hieb den Schädel gespalten! Laßt mich probieren, ob es noch einmal gelingt!«
»Was wollt ihr hier?« schrie Alanow furchtlos zurück. Er kannte sie alle, die Leute aus Perjekopsskaja. Seit zehn Jahren war er Vorsteher von Logowskij, und da erlebt man vieles mit den Kosaken vom Don. »Habt ihr einen Zug gemietet?« Er zeigte auf die überquellende Troika und auf Kolzow, der das Gepäck abzuladen und auf dem Bahnsteig zu stapeln begann. »Ich habe keine Meldung von einem Sonderwagen.«
»Er ist ein widerlicher Mensch«, sagte der Sargmacher Tutscharin und gab Alanow einen Stoß. »In seinen Sargdeckel sollte man eine Hundewurst schnitzen –«
Wie immer, wenn große Aufregung herrscht, lösten sich alle Spannungen in dem Augenblick, in dem das Erwartete eintrifft. Von weitem flog ein gellender Pfiff über die Steppe, Alanow rannte in das Dienstzimmer, um seine Mütze zu holen, und die Menschen auf dem Bahnsteig stellten sich auf wie zur Parade.
»Der Zug –« sagte Kolzow und zerwühlte seine Haare. »Der Zug
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