Liebe am Don
manchmal die Versammlung der Parteigenossen abhielt, schimmerte noch Licht unter der Tür. Der Reiter holte tief Luft, preßte die Hände gegen die Brust und klopfte dann an das Holz. Von innen tönte eine fast erschrockene Stimme.
»Ja? Was gibt es? Wer ist draußen?«
Der Reiter fuhr sich mit zitternden Händen durch das Haar. »Darf ich eintreten, Genosse?« rief er durch die Tür.
»Kommen Sie –«
Der Reiter stieß die Tür auf. Im Zimmer, hinter dem hohen Kopfteil des Bettes, stand Major Tumow. Er hielt eine schwere Nagan, die Armeepistole, in der Hand und zielte auf den Eingang. Der Reiter blieb stehen und hob seine Handflächen. Es war die stumme Gebärde des sich Ergebenden, des Wehrlosen. Tumow winkte mit der Pistole.
»Schließen Sie die Tür, und bleiben Sie dort stehen.« Der Reiter folgte dem Befehl und drehte sich dann wieder um. Tumow war hinter dem Bett hervorgekommen und legte die Pistole auf den Tisch, an dem sonst die Genossen von Perjekopsskaja sich über die Verteilung des staatlich genehmigten Saatgutes stritten. Er musterte den späten Besucher und fand ihn sofort unsympathisch. Er hatte ein Gesicht, dachte Tumow, als habe eine Pellkartoffel in heißer Asche gelegen. Aber dafür kann er nichts, das wird ein Unfall gewesen sein … doch die Augen, diese kalten, braunen Bärenaugen, diese beiden gläsernen, glitzernden Flecken in dem narbigen Gesicht mißfielen ihm ungeheuer.
»Wer sind Sie?« fragte Tumow laut. Der Reiter zuckte wie unter einem Schlag zusammen.
»Ich heiße Granja Nikolajewitsch Warwarink –«
»Von mir aus. Was wollen Sie von mir?«
»Ich bin erst gestern abend aus Wolgograd zurückgekommen. Zur Kur war ich dort, wegen meines Gesichts. Sehen Sie sich das an Genosse Major … bin ich noch ein Mensch? Werde ich jemals wieder aussehen wie ein Mensch? Sie haben mir mein Gesicht genommen, ich weiß es jetzt, die Ärzte haben es mir gesagt. ›Granja‹, haben sie gesagt, ›du wirst immer ein häßlicher Vogel bleiben. Die Frau, die dich heiratet, muß blind oder blöde sein.‹ Das haben sie gesagt, und ich habe eine Woche lang geheult wie ein Wolf. Können Sie das verstehen?«
»Bei diesem Gesicht – ja. Aber warum erzählen Sie mir das?«
»Ich will sie vernichten! Ich will sie in die Hölle bringen.« Granja hob beide Fäuste und schüttelte sie. »Sie haben mir mein Gesicht genommen!« brüllte er.
»Wer?« fragte Tumow knapp. Sein Gefühl verstärkte sich, dieses bohrende Ahnen, daß er der Lösung des Geheimnisses Jelena Antonownas endlich ganz nahe war.
»Der Deutsche und Njuscha –« Granja lehnte sich gegen die Wand. Der Haß schüttelte ihn. Er klapperte mit den Zähnen wie im Fieber. »Im Wald haben sie aufeinander gelegen wie die Katzen und geschrien vor Brunst!« Er bedeckte das narbenzerfurchte und rothäutige Gesicht mit beiden Händen und weinte plötzlich. »Irrsinnig werde ich, wenn ich daran denke, Genosse. Ich ersticke vor Haß, genau wie Jelena Antonowna –«
Major Tumow war es, als fasse eine eisige Kralle sein Herz. In seinen Mundwinkeln begannen die Muskeln zu zucken.
»Was wissen Sie von Jelena?« fragte er. Seine Stimme war eingebettet in die Heiserkeit größter innerer Erregung. »Granja Nikolajewitsch, beherrschen Sie sich! Seien Sie ein Mann! Setzen Sie sich zu mir und erzählen Sie mir alles, was sich hier abgespielt hat. Ich sage Ihnen schon jetzt: Sie erweisen unserem Volke einen großen Dienst.«
Und Granja setzte sich an den Tisch, stützte den Kopf in die Hände, dachte an Njuschas wehende blonde Haare, hörte ihr helles Lachen am Ufer des Don, sah sie in den Armen des Deutschen liegen und seufzen – und begann zu berichten.
Stumm, ohne Granja zu unterbrechen, hörte Tumow zu.
Das Geheimnis um Jelena Antonowna wurde licht wie ein Frühlingshimmel.
Am nächsten Morgen holten vier Milizsoldaten den alten Kolzow ab.
»Pack ein paar Sachen«, sagten sie. »Du kommst mit nach Wolgograd.«
Kolzow nickte. Evtimia rannte in das Schlafzimmer, fiel vor dem Bild des heiligen Dimitri auf die Knie und betete. Dann packte sie einen kleinen Sack voll Wäsche, legte etwas Speck und zwei Würste dazu, ein altes Foto von ihr, aus jungen Jahren, als sie noch ein strammes Weibchen war und Njuscha auf dem Schoß schaukelte, und zuoberst breitete sie über alles das Halstuch, das Kolzow als Kosak getragen hatte und das den langen, großen Krieg überlebte. Zwischendurch aber rannte sie durch den Hinterausgang aus dem Haus, lief um den Stall
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