Liebe am Don
»Und schießen, wenn einer dem Wagen näher kommt als zwei Meter!«
Langsam, wie ein Trauerzug, rollten die vier Autos durch das Spalier der Leute von Perjekopsskaja. Nichts geschah, schweigend saßen die Frauen und Kinder auf ihren Wagen, klebten die Männer in den Sätteln. Tumows Finger trommelten auf den Polstern. Sie lagen neben dem Griff der schweren Armeepistole, bereit, sofort zuzugreifen. Nur kurz blickte Tumow in die Gesichter der Männer, dann senkte er den Kopf. Die Entschlossenheit in ihren Augen erschreckte ihn.
Als die vier Autos das Spalier durchfahren hatten, setzten sich die Leiterwagen und die Reiter in Bewegung. Sie holten Tumow ein und ritten neben dem gefangenen Kolzow her wie eine Ehrengarde. Das Sattelzeug funkelte in der Sonne, die Pferdchen schnaubten und wieherten. Staub wirbelte unter ihren Hufen auf, denn es war ein trockener, warmer Tag, Vorbote des heißen Sommers in dem wie jedes Jahr die Sandbänke wieder aus dem Don auftauchen würden, die weißen, flachen Inseln, auf denen sich die Fischreiher sonnten und zu denen nachts die Liebespaare ruderten, um im weichen, warmen Bett des feinkörnigen Sandes glücklich zu sein.
»Schicken Sie Ihre Leute zurück!« knirschte Tumow. Die gewaltlose Demonstration erregte ihn mehr als ein Feuergefecht.
»Die Steppe ist für jeden da«, sagte Kolzow. »Sie sehen doch, Major … sie belästigen nicht Ihren Weg, sie lassen die Straße frei, sie reiten über die Steppe. Und die Steppe gehört ihnen …«
Zwanzig Werst südlich, wo sich die Straße gabelt, den Don verläßt und in gerader Richtung östlich weiterführt nach Wolgograd, galoppierten die Reiter voraus, während die Leiterwagen mit den Frauen und Kindern zurückblieben. Sie winkten mit Kopftüchern und Bettlaken, und dann sangen sie, Himmel nochmal, sie sangen die Internationale, laut und vielstimmig, irgend jemand hatte sie angestimmt – später hieß es, Evtimia selbst wäre es gewesen –, und die anderen fielen wie beim Osterchor rauschend ein … ein Gesang, der die Stille der Steppe zerriß und Tumow wie prasselnde Faustschläge erreichte.
»Das ist eine Frechheit!« sagte Tumow mit verzerrtem Gesicht. »Das werde ich mit roter Tinte in Ihre Akte schreiben!«
»Ich bin nur ein Gefangener«, antwortete Kolzow. »Ich kann nichts tun.«
An der Straßengabelung standen die Reiter, einer neben dem anderen, und jeder legte die Hand an die Stirn, so wie man als Kosak gegrüßt hat bei der Parade. Und Kolzow reckte sich im Sitzen, legte ebenfalls die Hand an den Kopf und nahm diesen letzten Vorbeimarsch ab … Da war Klitschuk und kaute an seinem Schnauzbart, da hing Rebikow auf dem Pferd und blinzelte ihm verlegen zu, da stand wie eine Säule der Sattler Luschkow, und da hob der alte Babukin seinen blitzenden Säbel und salutierte. Und alle anderen waren da, keiner fehlte aus Perjekopsskaja, alle waren gekommen mit ihren Pferden, so wie sie waren … in der dreckigen Feldkleidung, im verschmierten Ölzeug der Monteure, auf den Köpfen schief die Mütze … von allen Ecken waren sie herbeigeströmt, aus den Werkstätten der Sowchose, aus dem Stall, aus den Büros der Verwaltung … und nun saßen sie auf ihren Gäulen, alles nur Kosaken vom Don, und grüßten ihren Dimitri Grigorjewitsch auf seiner letzten Fahrt.
Es war ein Abschied für eine lange Zeit, vielleicht für immer. Dieses Wissen stand in ihren Augen, wenn sie sich vornüberbeugten, um Kolzow besser sehen zu können, und in das Auto hineingrüßten. Ihr Lippen zitterten vor Ergriffenheit und erbärmlicher Wehrlosigkeit.
Dimitri Grigorjewitsch Kolzow sah jeden an und nickte ihm zu.
Leb wohl, Wassilij … leb wohl, Piotr … leb wohl, Iwan … leb wohl, Nikofor … Brüder, lebt alle wohl …
Als die Milizwagen alle Reiter passiert hatten, schaute sich Kolzow noch einmal um. Es war ein letzter Blick auf den Zauber der Steppe am Don, ein letztes Abschiednehmen von den Freunden, ein Aufsaugen dieses Bildes in die Tiefen seiner Seele.
Die Kosaken hatten sich wieder formiert. Wie im Manöver ritten sie ausgerichtet und in Kolonne über die Straße zurück nach Perjekopsskaja. Eine große Staubwolke umwirbelte sie, wie Musik war das Klappern der Hufe.
Tumow atmete tief auf und stieß Kolzow mit dem Ellenbogen in die Seite.
»Ich werde das Dorf nächste Woche besetzen lassen«, sagte er. »Kein Haus werde ich verschonen. Ich bekomme die Wahrheit über Jelena Antonowna heraus … und wenn ich ein ganzes Bataillon nach
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