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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kleiner wird? Das war seine eigentliche Aufgabe, dafür war er nach Rußland gekommen … und nun saß er hier an der Wolga auf den Treppen der Siegesallee, hatte den Arm um Njuscha gelegt und war leer wie eine ausgeglühte Schlacke.
    »Ich habe keine Angst«, sagte er, und seine Stimme hatte einen rauhen Klang. »Aber wir können hier nicht sitzen bleiben. Wir müssen uns eine Schlafstelle suchen. Am besten ist es, wir fahren vor die Stadt und suchen in den Dörfern. Ein Stall, Njuscha, eine Ecke mit Stroh – das ist schon genug.«
    »Sind wir nach Wolgograd gekommen, um in einem Stall zu schlafen, Sascha?« Sie schüttelte den Kopf und deutete auf die neuen, hohen Wohnblocks. Die Abendsonne, rotgolden in der Steppe versinkend, übergoß die Fassaden wie mit Bronze. »Dort werden wir wohnen.«
    Zweifelnd blickte Bodmar auf die neuen Häuser. Ein Wald von Fenstern. Kinder auf den Balkonen. Wäsche flatterte an Leinen im Steppenwind. Vor den Häusern arbeiteten drei Trupps der Hausgemeinschaften in den Gärten. Sie pflanzten junge Bäume, beschnitten die Büsche, mähten das Gras. Eine Gruppe von drei Frauen reinigte den Kanalabfluß. »Ich glaube nicht an Wunder«, sagte Bodmar und stand von der Treppe auf. »Auch in Rußland nicht.«
    »Weil du kein Russe bist, Sascha … noch nicht!« Njuscha hob die Reisetasche hoch und machte ein nachdenkliches Gesicht. »Wieviel Rubel hast du?«
    »Knapp zweitausend.«
    »Ich habe fünfhundert. Das ist zusammen ein kleines Vermögen. Komm.«
    »Wohin?« fragte er wieder. Die Sicherheit Njuschas verwirrte ihn.
    »Zu den Häusern. Du sollst sehen, daß es Wunder gibt –«
    Bodmar blieb auf der Straße stehen und setzte sich auf sein Gepäck, als Njuscha in das erste Haus ging. Sie betrat es, als gehöre sie dorthin, als wohne sie schon lange in einer dieser Wohnungen, als wehe auch ihre Wäsche von einem der Balkone. Und nicht anders war es, als sie nach ungefähr einer Viertelstunde wieder auf der Straße erschien und Bodmar mit beiden Händen zuwinkte.
    »Ein schönes Zimmerchen«, sagte sie. »Ein wenig klein, aber es läßt sich darin leben.«
    Bodmar starrte sie entgeistert an. »Du hast ein Zimmer?« stotterte er.
    »Ja. Im zweiten Stockwerk.«
    »Du gehst in ein fremdes Haus und bekommst so einfach ein Zimmer? Das gibt es doch gar nicht!«
    »Du bist in Rußland, Sascha, und alle sind hier Brüder und Schwestern. Komm –«
    Sie nahm ihn an der Hand, er warf den Deckensack über die Schulter, und so betraten sie das neue, große Haus nahe der Wolga, kamen in das weite, helle Treppenhaus, tappten die steinernen Treppen hinauf, gingen an vielen Türen auf einem langen Flur vorbei und fanden die Tür Nr. 27 angelehnt. Ein Zettel, mit Bleistift geschrieben, hing neben der Klingel.
    ›Arkadij M. Volkow.‹
    Bodmar blieb ruckartig stehen. »Wer ist Volkow?« fragte er.
    Njuscha hob die Schultern und lächelte. »Ich weiß es nicht. Aber er hat uns ein Zimmer gegeben.«
    »Ohne Fragen? Er hat uns einfach ein Zimmer gegeben, so wie man einem die Hand gibt?«
    »Ich habe in diese Hand hundert Rubel gelegt.« Njuscha stieß die Tür auf. Ein kleiner Flur lag vor ihnen. An die Wand gedrückt stand ein Junge von etwa sieben Jahren und starrte sie an.
    »Das ist der kleine Fedja«, sagte Njuscha, als begrüße sie einen Verwandten. »Ich habe ihm zwei Rubel geschenkt.«
    »Und wie groß ist die Familie Volkow?« fragte Bodmar sarkastisch.
    »Sechs Personen, Sascha.«
    »Wir werden bald arm sein –«
    »Aber wir haben ein Zimmerchen. Tritt ein, Sascha …«
    Die Familie Volkow war vollzählig um den Tisch versammelt. Drei Kinder, von denen das älteste der etwas schlitzäugige Fedja war. Maria Volkowa, eine dickbusige, gutmütige Frau mit einem Ahnen, der ein Kalmücke gewesen sein mußte. Arkadij Mironowitsch Volkow, der Vater, ein starker, großer Mensch mit kurzgeschorenem Haar und einer Nase wie ein Boxer, dem man immer nur auf diesen einen Teil seines Kopfes schlägt. Und da, am Ende des Tisches, das Großväterchen, der weißhaarige Iwan Feodorowitsch, ein Männlein wie aus dem Märchenbuch, mit einem gestickten Käppchen auf den Haaren und einer Pfeife zwischen den fahlen, dünnen Lippen.
    Volkow, das Familienhaupt, sprang auf, als Bodmar ins Zimmer kam.
    »Willkommen!« rief er, rannte um den Tisch herum und küßte Bodmar auf beide Wangen. »Die Wohnung ist zwar klein, und das Zimmer, na ja, Genosse, zum Schlafen reicht's, man muß bescheiden sein. Hauptsache ist, man kann

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