Liebe am Don
Tasche trug er achtzehn Rubel. Zwei Rubel Tageslohn, sechzehn Rubel Anteil an erfolgreichen Abschlüssen mit Grabinteressenten.
»Njuscha!« rief er schon von weitem und breitete die Arme aus. »Njuscha! Ich habe eine Arbeit! Achtzehn Rubel habe ich heute verdient.«
»Ich habe auch eine Stellung«, sagte sie. »Zweihundertdreißig Rubel verdiene ich im Monat. O Sascha, Sascha, unser Leben fängt an wie ein Märchen –«
Sie lehnte sich an ihn, müde wie selten, und er mußte sie fast die Treppen hinuntertragen bis zu dem Café, das auf einer großen Scheibe am Ufer der Wolga im Wasser schwamm. Dort setzten sie sich an einen Tisch, bestellten zwei Gläser Kwaß und hielten sich an den Händen wie ein sich heimlich treffendes Liebespaar.
»Was hast du für eine Arbeit?« fragte Bodmar. Njuscha schüttelte den Kopf. Vor ihren Augen verschwammen der Fluß, die Lichter der Stadt, das Ufer, die prächtigen Bauten zu einem gleißenden, unförmigen Teig, so müde war sie plötzlich.
»Erst du. Sag du, was du gefunden hast.«
»Ich bin Totengräber. Friedhof 2, südlicher Teil.«
»Und ich bin Leichenwäscherin. Krankenhaus 1, Keller II.«
»Welch eine Zusammenarbeit!« sagte Bodmar sarkastisch. »Du wäschst, und ich begrabe sie.«
Dann legte er den Arm um sie, zog sie an sich und küßte sie auf die flatternden, vor Müdigkeit brennenden Augen.
Neben ihnen rauschte die Wolga, der unsterbliche Strom, von dem die Russen sagen: Erst, wenn die Wolga versiegt, gibt es kein Rußland mehr.
»Laß uns nach Hause gehen«, sagte Njuscha und seufzte. »Ich sehne mich nach unserer Kammer.«
Nach Hause.
Bodmar erhob sich, faßte Njuscha unter und blickte hinüber zu der neuen Stadt mit den Tausenden Lichtern. Ein Lebenswille aus Stein.
Dort drüben, irgendwo, liegst du, Vater, dachte er. Keiner kennt dein Grab.
Aber dein Sohn ist jetzt hier zu Hause –
E INUNDZWANZIGSTES K APITEL
Granja Nikolajewitsch Warwarink war bis auf die Knochen durchgekühlt, als man ihn aus dem Keller des Metzgers Kotzobjew heraufholte. Drei Kosaken, die er nicht kannte, holten ihn von den Tierteilen weg und stießen ihn in ein warmes Zimmer, das er zehnfach so heiß empfand als es war, denn wer aus dem Kühlhaus kommt, der empfindet die normale Welt wie einen Siedekessel.
Granja begann sofort zu klagen, als er die Versammlung sah, die auf ihn wartete. Die Parteigenossen Perjekopsskajas waren vollzählig erschienen, dazu die Freunde Kolzows, sogar der Magazinverwalter Rebikow, obgleich er ein Gegner von allem war, was ihm Verantwortung aufbürdete.
»Hört mich an, Brüder!« schrie Granja und fiel auf einen Stuhl, den man in die Mitte des Zimmers gestellt hatte und wohin man ihn mit Rippenstößen dirigierte. »Alles ist ein Irrtum! Ich schwöre es euch! Ich bin ein Freund von Dimitri Grigorjewitsch, wie könnte ich keiner sein, wo er doch mein Schwiegerväterchen werden sollte? Genossen, daß er verhaftet wurde, ist nicht meine Schuld. Der Major wußte alles. Er zählte mir die Verdächtigungen auf wie ein Lehrer das Einmaleins. Und gedroht hat er mir, mich zu erschießen. Was sollte ich tun?«
»Sein Mund ist nicht eingefroren«, sagte der Metzger Kotzobjew und hieb mit der Faust auf den Tisch. »Eine Mistkühlanlage ist das.«
»Mehr als reklamieren kann ich nicht«, rief Rebikow und erbleichte. »Habe ich das Maschinchen konstruiert, he? Nur verkauft habe ich es, weil es in den Prospekten so gelobt wurde.«
Kotzobjew hatte eine böse Nacht hinter sich. Nachdem die Kühlmaschine kurz nach der Einlieferung Granjas ›knack‹ gemacht hatte und wieder heizte, war er viermal in den Keller gerannt hatte die Maschine bespuckt und mit der Faust auf den Motor geschlagen, aber erst als er mit voller Wucht dagegen trat und brüllte: »Verrecken sollst du!«, machte es wieder ›knack‹ und kühlte.
»Jetzt weiß ich, wie man sie behandeln muß«, sagte er zu seiner Frau, die schlaflos im Bett saß. »Man muß sie nur in den Arsch treten –«
»Wir sind taub«, sagte der Sattler Luschkow, der den Vorsitz der Versammlung führte. »Aber es ist interessant, was er uns erzählt. Was wußte Major Tumow, he?«
»Daß der Deutsche Njuscha liebt –«, stotterte Granja.
»Und woher wußte er das? Weht das der Wind so daher? Kann der Don reden? Hat ihm das ein Pferdchen ins Ohr geflüstert? Granja Nikolajewitsch, halte uns nicht für Idioten! Da kommt ein Majorchen aus der fernen Stadt Moskau, geht einmal durchs Dorf und weiß plötzlich alles.
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