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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Untersätzen, Bahre an Bahre, und auf jeder lag ein flacher, langgestreckter Körper, bis über den Kopf zugedeckt mit einem weißen Laken. Sie standen da ausgerichtet wie zur Parade, ein Aufmarsch der Toten. Melanie Polowna ging an ihnen vorbei ohne einen Seitenblick und öffnete eine zweite Tür. Hier war helles Licht, so gleißend, daß Njuscha wie geblendet stehenblieb und die Hand über die Augen legte. Aus starken Neonröhren prallte das Licht auf breite, niedrige, flache, gemauerte Wannen, auf blitzende Wasserhähne und Brauseschläuche und auf eine ältere Frau, die an einer dieser Wannen stand und einen Toten mit einer weichen Bürste abschrubbte. Feuchtheiß war es in dem Raum, und die Frau trug unter ihrer Gummischürze nur einen Unterrock und hatte die langen Gummihandschuhe hoch über die nackten Arme gestreift.
    »Einen Augenblick!« rief sie, als sie Melanie in der Tür stehen sah. »Opachen wird noch gebraust. Nur ein Minütchen.« Sie warf die Bürste in ein Becken mit Desinfektionslösung, nahm einen Brauseschlauch und spülte die Leiche ab. Es war ein mageres, altes Männlein, sein Bauch war aufgeschnitten und sauber wieder vernäht worden, und trotzdem war er gestorben. »Ein Magenkrebs«, sagte die Wäscherin. »Zu spät hat man's bemerkt. Ach ja, so ist das oft. Immer liegen sie dann hier, weil man es zu spät erkannt hat. Was gibt es, Malascha?«
    »Das ist Glawira Fillipowna«, sagte Melanie und schob Njuscha vor sich her. »Und das hier ist Njuscha Dimitrowna, ein Täubchen vom Don. Kommt in die Stadt und will Rubelchen verdienen und kann nichts als melken und Ställe ausmisten. Ich habe gedacht, du könntest sie anstellen, Glascha.«
    »Das wäre gut, das wäre gut.« Glawira Fillipowna drehte den toten Opa auf das Gesicht und spritzte ihm das Gesäß ab. »Zuviel wird's für mich. Die Leute sterben schneller, als man waschen kann. Und dann stehen die Sargträger draußen und schreien: ›Schnell, schnell, Genossin. Was für Umstände mit so einem Kadaver? Wozu muß er geschrubbt werden, als ging's ins Hochzeitsbett? Und rasiert auch noch? Damit sich die Würmchen nicht erschrecken, was?‹ Und dann lachen sie. Rauhe Kerle sind's, die Sargträger. Keine Achtung vor dem Tod. Vergessen zu Lebzeiten, daß sie auch einmal hier in der Wanne liegen und gewaschen werden.« Sie drehte den kleinen Mann wieder um, rollte eine Bahre heran, ergriff den toten Körper mit Riesenkräften und warf ihn auf die Gummimatte. Dann klebte sie an sein Fußgelenk einen Streifen Leukoplast, auf dem Name und Sterbedatum standen, und gab dem Gefährt einen Tritt. Lautlos, auf dicken Gummirädern, glitt es von den Becken weg in den Hintergrund des Zimmers, stieß dort gegen die Kachelwand und blieb stehen. »Du willst hier arbeiten?« fragte sie und besprühte die Gummihandschuhe mit einer Art Puder. Ein Geruch wie Schwefel verbreitete sich in dem warmen Raum. Njuscha würgte, aber tapfer stand sie neben Melanie Polowna wie der alte Kolzow in seiner jagenden Troika, als er zum Abschied neben dem Zug hergaloppierte, fest, wie in den Boden gerammt, ein Kind der Steppe, das der Wind aus Kasakstans Weiten nicht umweht. Nur der Gaumen war trocken und verspürte einen Geschmack nach Galle, bitter, ätzend, widerlich.
    »Ja, ich suche Arbeit«, sagte sie und wunderte sich, wie klar und sicher ihre Stimme klang.
    »Hier? In der Leichenwäscherei?«
    »Ich nehme jede Arbeit an, Glawira Fillipowna. Wenn Sie mich gebrauchen können –«
    »Ich werde mit der Genossin Leiterin in der Verwaltung sprechen.« Glawira setzte sich auf einen Schemel und blickte zu der gewaltigen Melanie empor. »Seit vier Monaten singe ich es ihr vor: Genossin, ich schaffe es nicht. Ich schufte ein vierhundertprozentiges Soll. Ich brauche eine Hilfe, oder Sie müssen den Hinterbliebenen sagen: Bringt euren Lieben zum Krematorium. Wer verbrannt wird, braucht nicht gewaschen zu werden. Man bahrt ihn nicht auf und steht singend um ihn herum, und er muß schön aussehen wie ein Filmstar, damit sie am Sarg sagen können: ›Seht, Freunde, wie friedlich er aussieht! Das ist die Majestät des Todes.‹ – Nein, das war Glawira Fillipowna, die ihn abseifte und rasierte. – Und was antwortet die Genossin Leiterin? ›Beste Glascha, ich gebe dir eine Hilfe. Aber such sie erst. Wer will schon in deinen Keller? Schon wenn ich davon rede, fallen sie um.‹ O Gott, es ist ein Jammer mit den Nerven. Keiner hat mehr die gute Qualität wie wir vor dem Krieg, nicht

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