Liebe am Don
einen, auf den er sich später dumpf brütend hinsetzte, zu zertrümmern und das Holz gegen die Wände zu feuern.
Die Familie Klitschuk stand draußen staunend vor der Tür. Man hatte dem Alten soviel Kraft nicht mehr zugetraut.
Am Nachmittag erschien Major Tumow in Perjekopsskaja. Er landete mit einem Hubschrauber vor dem Parteihaus, mitten auf dem Platz, auf dem seit Stunden eine Abordnung der Kosaken wartete. Da es ein schöner, sonniger Tag war, hatte man Tische herausgestellt und saß auf Schemeln, trank Kwaß und ließ sich von den Frauen Speck, Schinken und warmes Kraut bringen. Jetzt fegte der Luftdruck der Rotorflügel die Gläser und Teller von den Tischen, und die Kosaken hielten sich die Mützen fest.
Allein stieg Tumow aus dem Hubschrauber und ging zum Parteihaus. Er trug seine Uniform und hatte eine Pistole umgeschnallt.
»Mut hat er«, sagte Tutscharin anerkennend und trank einen Schluck Kwaß aus der Kanne, als die Rotorflügel endlich standen und man wieder eine vernünftige Haltung einnehmen konnte. »Kommt allein, das feine Herrchen!« Er schielte zu dem Piloten des Hubschraubers und bemerkte, daß neben ihm aus der Glaskanzel häßlich und gefährlich der Lauf eines Maschinengewehres ragte. »Was nützt ihm die Kugelspritze, wenn man ihm drinnen im Parteihaus den Schädel einschlagen würde? Er muß uns für gutmütige Idioten halten.«
Kalinew und Kotzobjew empfingen Tumow in Kolzows Zimmer. Man hatte ein großes Foto des Toten so auf den Schreibtisch gestellt, daß jeder es beim Eintreten sehen mußte. Um das Bild wanden sich Feldblumen. Es war eine kindlich-rührende Ehrung.
Major Tumow übersah das Bild nicht. Ohne Gruß blieb er stehen und deutete mit der rechten Hand auf das Foto.
»Woher wissen Sie, daß er tot ist?«
Kalinew blickte schnell zu Kotzobjew. Jetzt kam es darauf an, Mut zu haben.
»Wir erhielten aus Wolgograd ein Telegramm.« Kalinews Stimme war belegt vor Aufregung. Er spürte, wie der Schweiß aus seinen Poren brach. Hinter Tumow steht die ganze Macht Moskaus, dachte er. Was sind wir dagegen? Armselige Kotspritzer. Für Babukin ist es leicht, ein Held zu sein. Er lebt vielleicht schon hundert Jahre und hat nichts mehr im Leben vor. Vier Frauen hat er verschlissen … was will er noch mehr? Aber wir, wir sind im besten Mannesalter. Es ist verdammt schwer, solche Entscheidungen zu treffen.
»Wer hat das Telegramm geschickt?« fragte Tumow. Er griff zum Bild Kolzows und drehte es um. Aufs Gesicht legte er es, und die anderen verstanden. Erledigt, hieß das. Keine Diskussion darüber. Kolzow ist gestrichen. Kotzobjew knirschte schauerlich mit den Zähnen, Kalinew bekam nasse Handflächen.
»Ohne Absender«, sagte Kalinew.
»Wo ist es?«
»Hier.«
Tumow las das Telegramm. Der feine Ausdruck ›wurde gestorben‹ sprang ihn an wie eine Katze. Er lief rot an im Gesicht und zerriß das Formular.
»Sie wissen, wer das geschickt hat?« fragte er und starrte Kotzobjew an, der erneut mit den Zähnen knirschte, als bisse er in Eisen.
»Wir vermuten es. Es könnte Njuscha, seine Tochter, gewesen sein.«
»Dann wäre sie also in Wolgograd?«
»Man hat hier nie etwas anderes behauptet, Genosse Major.«
»Und der Deutsche auch?«
»Das wiederum weiß keiner. Er ist mit der Genossin aus Moskau weggefahren.« Kalinew sagte es so überzeugend, daß Tumow diesmal glaubte, es sei die Wahrheit.
Der Kreis, dachte er wütend. Dieser verdammte Kreis – ich komme nicht aus ihm heraus! Wir drehen uns alle wie auf einem Karussell. Perjekopsskaja – Wolgograd – Perjekopsskaja … immer rundherum. Lebt Jelena Antonowna wirklich noch? Hat sie sich mit dem Deutschen irgendwo verkrochen? Das wäre Irrsinn, denn wie soll ihr Leben weitergehen? Aber warum ist Njuscha ihnen dann gefolgt? Nur aus Sehnsucht nach der Stadt? Wer glaubt das, wenn er diese Menschen am Don kennt!
Alles ist wie ein Nebel, der über einem Fluß schwebt.
»Sie glauben also, daß Kolzow gestorben ist?« fragte Tumow. Kotzobjew nickte mehrmals.
»Warum sollen wir es nicht glauben?«
»Es kann eine Falschmeldung sein.«
»Wenn sie von Njuscha kommt – nie.«
»Und wenn er wirklich noch lebt?«
Kalinew und Kotzobjew sahen sich erschrocken an. Diese Möglichkeit hatte man nie in Betracht gezogen. Nicht einmal Vater Ifan hatte so etwas geäußert. Am Don stand halbfertig die Pyramide zu Ehren Kolzows, der Fackelzug war gelaufen, das Totenmahl war verzehrt … welch eine Blamage, wenn Dimitri Grigorjewitsch
Weitere Kostenlose Bücher