Liebe am Don
herrlichen Leib und zerriß dann das Bild in kleinste Stücke. Um ganz sicherzugehen, verbrannte er sie zusammen mit dem Inhalt des Papierkorbs, in dem das von der Unbekannten zerrissene Negativ lag. Dann zog er seinen weißen Labormantel an, beruhigte die sechs Hochzeitspaare, die draußen warteten, absolvierte seine Gruppenaufnahmen, beglückwünschte die jungen Eheleute und die Verwandten, sagte ihnen, daß die Bilder erst in vierzehn Tagen abzuholen seien, da ihn ein Staatsauftrag nach Rostow rufe (ein kluger Gedanke, denn gegen einen Staatsauftrag wagte kein Genosse zu protestieren), und schloß dann sein Atelier, bevor der neue Schwung vom Heiratspalast herüberkam. Ein schnell gemaltes Schild hängte er draußen an die Klinke.
»Verreist.«
Bereits um elf Uhr vormittags saß Timor Antonowitsch Brutjew im Zug nach Rostow. Er hatte beschlossen, sich in einem Fischerdorf am Asowschen Meer zu erholen. Frische Luft, angeln, Spazierengehen, schlafen … und nicht daran denken, was unterdessen in Wolgograd mit dem Bild geschah. In vierzehn Tagen sah die Welt anders aus.
Man sieht daraus, daß Brutjew ein Durchschnittsmensch war, denn er dachte falsch. Für Oberstleutnant Rossoskij waren vierzehn Tage wie eine Minute. Er rechnete in diesem Fall mit anderen Größenordnungen. Zehn Milizgruppen zu je vier Mann schwärmten aus und besuchten alle Fotografen, Fotogeschäfte und Drogerien, die Fotos entwickelten und vergrößerten. Man begnügte sich nicht damit, daß jeder beteuerte, dieses herrliche Weib leider nicht vor der Linse oder im Entwicklerbad gehabt zu haben … die Polizisten sahen alle Negativkarteien durch, unternahmen Haussuchungen und ermahnten alle Betroffenen eindringlich zur Wahrheit. Hinter ihren Worten drohte Sibirien … man spürte die Kälte heranwehen.
Auch zu Brutjew kamen die Milizsoldaten. Das Schild ›Verreist‹ störte sie nicht … sie brachen die Wohnung auf, durchwühlten die Negative und den riesigen Haufen fertiger Fotos, was äußerst langweilig war, denn immer handelte es sich nur um lächelnde Hochzeitspaare und strammstehende Verwandte. Allein zwei Fotos waren interessant, wenn auch nicht für diese spezielle Aktion. Auf dem einen stand der Zweite Parteisekretär Mulinow Arm in Arm mit einer schönen Blondine und glänzte vor Glück wie ein Kupferkessel, dabei war er seit neunundzwanzig Jahren verheiratet, Großvater von sieben Enkeln und galt als äußerst sittenstreng. Das zweite Foto zeigte den Genossen Polizeichef in der Badehose auf einer Wiese. Er war gerade damit beschäftigt, einem zierlichen, schwarzlockigen Täubchen den Büstenhalter zuzuknöpfen. Da auch der Polizeichef verheiratet war, und zwar glücklich, wie man wußte, beschlagnahmte die Miliz vorsorglich dieses sozusagen illegale Foto.
Von dem unbekannten nackten Mädchen ohne Kopf aber fand man nichts.
Um so mehr schlug dieses Foto unter den Zeitungslesern von Wolgograd Wellen wie ein Wirbelsturm auf dem Meer. Morgens um zehn Uhr waren bereits alle Zeitungen ausverkauft, und in den großen Fabriken wurden unter Kollegen zwei Rubel für die zweite Seite der Wolgograd-Prawda geboten.
Großvater Volkow war einer der Glücklichen, der noch eine Zeitung erhielt. Keuchend rannte er die Treppe hinauf in die Wohnung, stieß die Volkowa, seine Schwiegertochter, zur Seite und schloß sich in sein Zimmer ein. Dann setzte er sich ans Fenster, benetzte seine Lippen und versuchte, indem er das Bild schräg gegen die Sonne hielt, die Schwärzung des Unterleibes zu durchdringen. »So etwas!« sagte er. »Nein, so etwas! Die Zeitung mausert sich. Ein neues Jahrhundert ist angebrochen.«
Auch Borja kam sofort mit der Zeitung zu Bodmar und lachte wie ein Faun. »Sie beult sich!« schrie er. »Man kann sie nicht mehr zuklappen, Sascha! Welch ein Körperchen! Sieh dir das an! Was will die Parteileitung nur mit dem Weibchen? Sollte der Genosse Erster Sekretär ertrinken, so hoch steht ihm das Wasser im Mund?« Er betrachtete das Bild mit schiefem Kopf und blinzelte. »Das wird alle Weiber neidisch machen«, sagte er. »In die Öfen werden sie die Zeitungen stopfen. ›He! jetzt denkst du wieder an sie!‹ werden sie ihre Männer im Bett anschreien. Wer kann's ihnen übelnehmen, wenn sie einen Mehlsack oder eine Latte neben sich liegen haben? Sascha, hast du schon einmal eine so schöne Frau gesehen?«
»Njuscha ist für mich schön genug«, sagte Bodmar. Das Foto in der Zeitung bedeutete Alarm. Zwar konnte es niemanden geben,
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