Liebe am Don
den Ofen müssen sie. Sag ich es nicht … der Offizier ist ein gefährlicher Stier!«
Es war nicht schwer, die Bilder Njuschas zu finden. Evtimia, ein gutes Mütterchen, verwahrte sie in einem hölzernen Kasten im Kleiderschrank. Nur wenige Fotos waren es … das letzte aufgenommen vor drei Jahren, als ein reisender Fotograf auch in Perjekopsskaja Station machte und das halbe Dorf vor die Linse seines alten Kastenapparates holte. Unter einem schwarzen Tuch versteckte er seinen runden Kopf, und dann machte es laut ›klick‹, und man war für alle Zeiten aufgehoben auf einem Stück Papier. Bei Kotzobjew, dem Metzger, richtete er sich im Keller sein ›Labor‹ ein – wie er vornehm sagte –, denn Kotzobjews Keller war der einzige völlig dunkle Raum im Dorf.
Man erinnerte sich in Perjekopsskaja noch gut an diese Tage, als gäbe es eine Sonderzuteilung Saatweizen, so stellten sich die Leute in langer Schlange an, unten am Don, vor der Hauswand von Babukins schilfgedeckter Hütte, die der Fotograf – Michail Lukanowitsch Dubjow hieß der gottverfluchte Gauner – als Hintergrund besonders romantisch fand. Er konnte gar nicht so schnell fotografieren, wie die Leute sich in Positur stellten … Mütter mit ihren Kindern, Kosaken mit ihren Lieblingspferden, Ehepaare, die seit Jahren wieder gemeinsam lächelten, denn so ein Bild soll ja ein Dokument werden, und es geht nicht an, sich auch noch vor der Kamera anzuspucken. Schließlich fuhr man die ganz Alten heran, auf kleinen Handwagen oder in einem Schubkarren, und ließ sie vor der Linse posieren, damit man später immer vorweisen konnte, daß Urgroßväterchen noch mit neunzig Jahren ein rüstiger Bursche gewesen war.
Schwierigkeiten gab es nur mit Babukin. Er kam als letzter dran, ohne eine Kopeke zahlen zu müssen, denn er hatte ja sein Haus als Kulisse zur Verfügung gestellt. Er zog seinen besten Anzug an, verzichtete auf die Hosenträger, sondern schnallte sich sportlich einen Lederriemen um den mageren Leib, und so stand er vor der Kamera und vollführte die eckigsten Bewegungen, wenn der Fotograf unter seinem schwarzen Tuch ihm zuschrie: »Zurück, Genosse … mehr nach links, den Arm ruhighalten, lächeln, den Fuß etwas vor, nicht so schief stehen. Zum Teufel, sind Sie krumm gewachsen? Nicht die Schulter hochziehen, stehen Sie ganz entspannt. Mein Gott, warum blinzeln Sie? Machen Sie die Augen auf.«
»Die Sonne scheint mir ins Gesicht!« brüllte Babukin zurück.
»Bei einer guten Aufnahme muß ich die Sonne im Rücken haben!« schrie der Fotograf zurück. »Es geht nicht anders. Stehen Sie still, Genosse!«
Babukin bemühte sich redlich, aber die Sonne kitzelte ihm in der Nase. Es juckte und zuckte und kribbelte in seinen Nasenlöchern, er hielt den Atem an, dachte an das letzte Hochwasser des Don, verfluchte seine Feinde, stand da wie eine Säule … aber es nutzte gar nichts, er spürte, wie in seiner Nase sich ein Vulkan bildete, wie eine Explosion sich anzeigte … »Halt!« wollte er schreien. »Fotografieren Sie nicht!« aber dazu war es schon zu spät … er warf den Kopf in den Nacken, verzweifelt und hin und her geschüttelt, und nieste mit einer Gewalt, die seinen schmächtigen Körper einen Viertelmeter vom Boden hob. Gleichzeitig rutschte ihm die Hose herunter, denn der Lederriemen fand keinen Halt mehr an den dürren Hüften, und genau in diesem Augenblick drückte der Fotograf auf den Auslöser.
Babukin zeigte das Foto niemandem. Er versteckte es unter der Matratze. Ab und zu holte er es hervor und betrachtete es stirnrunzelnd. Im Hintergrund der Don, auf der Steppe aber ein Wesen, das aussah wie eine riesige Fledermaus mit weißen Beinen. Das war die Unterhose.
»Wie kann ein Mensch nur so häßlich sein«, meditierte Babukin dann. »Und warum trifft es gerade mich?«
Das war vor drei Jahren, und an diesem Tage machte man auch das letzte Bild von Njuscha.
Evtimia stieß die Ofenklappe auf und stopfte alles hinein, was an Bildern in dem hölzernen Kasten lag. Nur zwei Kinderfotos hob sie auf … Njuscha als zweijähriges Mädchen, ein Kopf wie ein Engelchen. Alles andere verbrannte sie. Sie hockte vor den flammenden Bildern und starrte in das Feuer. So verbrennt nun alles, dachte sie. Die Gegenwart hat mich einsam gemacht, die Zukunft geht mich nichts mehr an … was geblieben war, waren die Erinnerungen. Nun zerfallen auch sie in den Flammen.
Eine halbe Stunde später kam Oberstleutnant Rossoskij ins Haus der Kolzows. Kalinew und
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