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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Idiotie!« schrie Kallberg. »Wenn Sie jetzt nicht mitmachen, können Sie vielleicht nie wieder zurück nach Deutschland!«
    »Es ist gut, daß Sie mir das so deutlich sagen.« Bodmar schüttelte die Hand Kallbergs ab, die ihn am Rockärmel gepackt hatte. »Ich will nicht mehr nach Deutschland zurück. Ich verzichte auf Deutschland! Ich kann auch durch diese Welt gehen ohne schwarz-rot-goldene Strümpfe!«
    Er wandte sich zum Gehen, und wieder lief ihm Kallberg nach.
    »Bodmar, Sie Narr! Sie werden Ihr Leben lang ein Verfolgter sein.«
    »Das weiß ich. Ich fühle mich bereits als Wolf.«
    »Wo wollen Sie jetzt hin?«
    »Nach Hause.« Bodmar zeigte mit einer weiten Handbewegung über die vor ihnen liegende Stadt. Abendrot hüllte Wolgograd ein wie in einen blutigen Nebel. Die Wolga war ein Strom aus Blut. »Besuchen Sie mich, Kallberg, aber nur, wenn Sie für Njuscha auch einen deutschen Paß haben. Friedhof Nr. II, alter Teil, die Gruft der Shukendskijs. Klopfen Sie dreimal auf die Steinplatte … Sie sollen im Grab willkommen sein –«
    Er ließ Kallberg stehen und ging schnell davon. Es war sinnlos, ihm noch einmal zu folgen … zwei Gruppen Touristen mit ihren sowjetischen Fremdenführern umringten Kallberg plötzlich und drängten ihn weiter. Er boxte sich durch bis zu Heppenrath, dessen weiße Schirmmütze ein gutes Orientierungszeichen war.
    »Na, wie war's?« fragte der Reiseleiter. »Es hat lange gedauert. In fünf Minuten ist unser Programm zu Ende. Alles glatt gegangen?«
    »Scheiße war es.« Kallberg steckte seine vierzigste Zigarette an. »Dieses russische Weibsstück! Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Wann fliegen wir zurück?«
    »Dienstag. Genau 11.24 Uhr mittags. Die Russen sind pünktlich.«
    »Bis Dienstag haben Sie Ihren Eberhard Bodmar. Das verspreche ich Ihnen. Wir haben Mittel, ihn zur Vernunft zu zwingen –«
    Am Horizont hinter der Steppe versank glutrot die Sonne, als falle sie in eine Erdspalte.

F ÜNFUNDDREISSIGSTES K APITEL
    An dem Donnerstag dieser Woche starb Evtimia Kolzowa.
    Es war kein dramatischer Tod, kein heftiges Ringen mit der Dunkelheit, keine von Schmerzen zerrissene Erlösung. Evtimia dämmerte einfach dahin, erlosch lautlos wie eine Kerze, die man unter eine Glasglocke gestellt hat. Dimitri Grigorjewitsch war tot, Njuscha, das Töchterchen, würde nie mehr zurückkehren an den Don … das Leben hatte keinen Sinn mehr für die Kolzowa. Auf wen sollte sie warten, wer dankte es ihr, wenn sie das Haus und den Garten pflegte? Ihre Welt war zusammengeschrumpft bis auf ihr eigenes Ich … und das schien ihr das Weiterleben nicht wert.
    Jeden Tag dreimal blickte Vater Ifan, der Pope, bei Evtimia ins Haus und fand sie meistens in der ›schönen Ecke‹, den Kopf gesenkt, das Witwentuch weit übers Gesicht gezogen, mit gefalteten Händen. Und von Stunde zu Stunde wurde sie weniger, schrumpfte sie zusammen, glitt alles Irdische von ihr ab.
    »Auch das ist eine Sünde, Tochter!« donnerte Vater Ifan Matwejewitsch, als er am Mittwoch morgen wieder die regungslose Evtimia besuchte. Er hob sein Messingkreuz, segnete sie und hieb dann damit auf den Holztisch. »Jawohl, eine Sünde ist's! Wissen wir alle nicht, wieviel wert das Leben ist? Und du läßt es hinfaulen wie eine pilzige Kartoffel!«
    Evtimia hatte keine Lust, sich mit dem streitbaren Väterchen zu balgen. Sie zeigte schweigend auf eine eingerahmte Fotografie Kolzows. Ein schwarzer Schleier war darum geschlungen, und auf einem Brett, das sie an die Wand genagelt hatte, brannte ein Ewiges Licht.
    Ifan verstand. »Und Njuscha?« schrie er sie an.
    »Sie kommt nicht wieder«, sagte Evtimia mit hohler Stimme.
    »Kannst du hellsehen? Weißt du mehr als Gott, he? Sie lebt, und das ist ein Glück, für das du danken solltest jeden Tag, jede Stunde, mit jedem Atemzug. Und was tust du? Du hockst dich hin und wartest darauf, daß dein Herz einfach stillsteht.«
    »Ich bin müde, Vater«, sagte Evtimia und zog den Witwenschleier tief über ihr Gesicht. »Jede Kuh, jede Ziege legt sich hin, wenn sie müde ist … warum darf ich das nicht?«
    »Aber sie stehen am nächsten Morgen wieder auf!« brüllte Ifan Matwejewitsch. »Wem nützt es, wenn du hier herumsitzt und trauerst?«
    »Mir –« Evtimia faltete die Hände. »Jeder Tag ist sinnlos. Ich lebe schon zu lange. Ich weiß, daß Dimitri Grigorjewitsch auf mich wartet.«
    »Einen Teufel wird er!« Vater Ifan holte tief Luft und spuckte sehr unheilig auf den Dielenboden.

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