Liebe am Don
»Ruhe hat er! Ruhe! Selige Ruhe! Kein keifendes Weib, keine schreienden Bauerntölpel, die das Saatgetreide selber fressen und nachher mit leeren Händen vor den Feldern stehen; kein Hengst, der ihm die Knochen zertrümmert, und keine Akten für den Bezirkssowjet … Gott hat ihm endlich Frieden geschenkt. Und du schamloses Frauenzimmer willst ihm diesen Frieden stehlen, indem du jetzt auch noch im Himmel erscheinst? Hast du denn kein mitfühlendes Herz?«
Es war alles umsonst … Evtimia zeigte keine Regungen mehr. Früher hätte sie den nächsten greifbaren Gegenstand gegen Ifan Matwejewitsch geworfen, um anschließend auf die Knie zu fallen und um Verzeihung zu bitten. Oder sie hätte gelacht, schallend und mit in die Hüften gestemmten Armen, so wie die Bauersfrauen am Don lachen, und Vater Ifan hätte dann eine Schüssel voll Kascha bekommen und einen Krug Kwaß. Das alles war jetzt vorbei und kehrte auch nicht mehr wieder … Ifan sah es ein und verließ sehr nachdenklich und besorgt das Haus Kolzows.
Am Nachmittag erschien der alte Babukin, um Evtimia Witze zu erzählen. Nach einer langen Beratung im Parteihaus hatte die Dorfgemeinschaft ihn auserwählt, Evtimia aufzuheitern. Das stille Leid der Witwe Kolzowa fraß sich in alle hinein, und Kotzobjew, der Metzger, drückte es mit gesetzten Worten für ganz Perjekopsskaja aus: »Ich kann nicht mehr schlafen, wenn ich daran denke, daß Dimitris Frau so mir nichts dir nichts aus dieser Welt verschwinden will.«
Und Kalinew, der neue Dorf Vorsitzende, sagte: »Wenn sie nur einmal lachen würde. Ein einzigesmal nur. Wer lacht, stirbt nicht freiwillig. Jemand muß sie dazu bewegen, daß sie lacht. Das kann nur ein Narr.«
Babukin fand es ungehörig, daß nach diesem weisen Satz alle Köpfe sich ihm zuwandten. Er machte einen Luftsprung und begann sofort zu keifen.
»Wer hat hier die besten Ideen, he?« schrie er hell. »Wer hat Tumow und Rossoskij Widerstand geleistet? Wer hat auf seinem Platz standgehalten, während ihr alle unterwegs wart, die beschissenen Hosen auszuwaschen?«
»Ein Narr ist ein Kind Gottes«, sagte Luschkow und drückte Babukin auf den Stuhl zurück. »Anton Christoforowitsch, wir wissen, was wir an dir haben. Darum sollst du auch zu Evtimia gehen und sie zum Lachen bringen.«
Babukin wehrte sich mit Händen und Füßen. Aber als man ihm erklärte, das sei er seinem Ziehsöhnchen Kolzow schuldig, rannte er aus dem Parteihaus, warf sich auf seinen zitternden, altersblinden Gaul, an dessen herausragenden Knochen man herumklettern konnte wie an einem Felsen, und ritt zu seiner windschiefen, strohgedeckten Hütte am Don. Dort zog er sich um, holte aus einer Kiste seine muffig stinkenden, uralten Kosakenkleider, schnallte seine Sporen an und trabte zu Evtimia. Klirrend, wie in alten Tagen (und sie lagen so weit zurück, daß selbst Babukin Mühe hatte, sich daran zu erinnern), stampfte er durchs Haus und fand Evtimia im Schlafraum. Sie saß auf Kolzows Bett, die Hände im Schoß gefaltet, und starrte auf die aufgeschüttelten Kissen mit den selbstgerupften Daunen. Tief in Gedanken ließ sie die Jahre an sich vorüberziehen, in denen sie mit Kolzow zusammengelebt hatte. Es hatte viel Streit im Hause gegeben. Dimitri Grigorjewitsch war wie ein Hahn gewesen, der sofort mit gesträubten Federn auf alles losstürzte, was ihn reizte, und dumme Kleinigkeiten waren es immer, die ihn brüllen ließen, daß man sich wunderte, warum das Dach nicht davonflog … kamen aber die großen, schweren, wirklich bedrückenden Probleme, wurde er still und schien nach innen zu weinen. So war es, als Njuscha geboren wurde, als sie fast verhungerten im Großen Krieg, als Njuscha mit hohem Fieber phantasierte und der Arzt keine Hoffnung mehr hatte, als Evtimia noch drei Fehlgeburten über sich ergehen lassen mußte und jedesmal fast verblutet wäre, denn – der Teufel war mal wieder fleißig! – immer auf dem Feld passierte so etwas, während der Ernte, beim Säen, beim Rübenhacken, beim Heuen, und Kolzow jagte jedesmal mit seinem klappernden Leiterwagen wie ein Irrer über die Steppe, hinter sich die wimmernde Frau in ihrem Blut … o Gott, welch ein Leben war vergangen, dreißig Jahre an der Seite Kolzows, dreißig Jahre ein Kosakenleben … es fehlt einfach etwas, wenn der andere nicht mehr da ist, es ist wie ein Eimer, der außen noch immer wie ein Eimer aussieht, aber der Boden fehlt, und man kann hineinschütten, was man will … es läuft davon ins Sinnlose
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