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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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deutsche Verwundete in Eisenbahnwagen hausten und sich aus den steifgefrorenen Körpern ihrer Kameraden Treppen in die Waggons bauten.
    Wer konnte das jetzt noch begreifen, wenn er über dieses blühende Land blickte?
    Auch du, Vater, warst darunter, dachte Bodmar und lehnte sich an eine der Säulen des Rundgangs unterhalb der Siegesgöttin. Dort draußen hast du gelegen und bist verblutet. Vielleicht dort drüben in einem der Keller, über denen jetzt die weißglänzenden Neubauten stehen? Oder auch auf der Straße nach Pitomnik? Bist du auch meterweise vorwärtsgekrochen, Vater, und hast in den Eissturm hineingebrüllt: Nehmt mich doch mit! Nehmt mich mit! Kameraden … vergeßt mich nicht … Und dann bist du umgefallen, hast dich ausgestreckt und wurdest zum Eisklotz. War es so, Vater? Wir haben nie erfahren, wie du gefallen bist. Ja doch, ein Hauptmann schrieb später an Mutter einen Brief. Der Leutnant Bodmar starb den Heldentod mit Mut und großer innerer Kraft. Leere Worte. Tönende Phrasen. Glockenklang, der das Gewissen übertönen soll. Heldentod … verreckt bist du, Vater! Elend verreckt! Deine innere Kraft reichte nicht mehr aus, die zu verfluchen, die dich hier zwischen Steppe und Wolga verraten und verheizt haben. Mit Mut, schrieb der Hauptmann. Hattest du wirklich soviel Mut, Vater, in dieser Hölle aus Schneesturm und Granaten noch an ein Weiterleben, an einen Sieg zu glauben? Was wart ihr bloß für Menschen, Vater? Ihr seid verblutet und habt dabei noch die Hand zum Sieg-Heil gehoben. Was ging in euren Hirnen vor? Hattet ihr ein Gas geschluckt, das euch mit Blindheit schlug? Ich stehe jetzt hier, Vater, wo auch du vielleicht gestanden hast … auf dem Mamajew-Hügel, auf dem Berg, an dem das Blut hinuntergeflossen ist … und ich versuche dich zu verstehen, Vater, nur einen Teil zu verstehen, eine Winzigkeit, ein Molekül deiner Gedanken und deiner Taten. Darum bin ich ja nach Rußland gekommen und habe mich aufsaugen lassen von diesem unendlich schönen, herrlichen, beglückenden Land, das ein Mann lieben muß wie seine einzige glühende Geliebte … aber es ist leer in mir, Vater, verzeih mir … ich verstehe dich nicht mehr … »Gehorsam«, hast du einmal geschrieben, »ist das Korsett der Moral.« Das war, als du Polen erobert hattest und in einem Siegesrausch lebtest. Aber später, aus Stalingrad, hast du geschrieben: »Gehorsam ist in unserer Lage der sicherste Selbstmord …« Und dann, im letzten Brief, den Mutter von dir erhielt: »Gehorsam ist ein neues Wort für nichts.«
    Und trotzdem, Vater, bist du irgendwo da unten gestorben. In den Trümmern von Stalingrad, bis zur letzten Patrone, bis zum letzten Seufzer. Ein Held –
    Wer kann das begreifen?
    Bodmar zuckte zusammen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. Ein fremder Mann stand hinter ihm, seiner Kleidung nach einer der Touristen.
    »Brüderchen«, sagte er auf russisch, »an alles haben die Architekten gedacht. Eine wundervolle Aussicht, eine riesige Figur … nur die Toiletten haben sie versteckt. Sag, wo kann man sich hier gemütlich in eine Ecke stellen?«
    »Im Innern des Siegestempels, Genosse. Wenn Sie lesen können – es steht groß an der Tür. Beleidigen Sie nicht den Architekten dieses Wunderwerks.«
    Bodmar wollte sich abwenden, aber der Druck der Hand auf seiner Schulter verstärkte sich. »Eberhard Bodmar?« fragte der Mann jetzt gedämpft auf deutsch.
    »Ich verstehe Sie nicht, Towaritsch«, antwortete Bodmar schnell auf russisch.
    »Reiseleiter Heppenrath hat mich auf Sie hingewiesen. Er war sich nicht ganz sicher, – früher trugen Sie keinen Bart. Und gepflegter sahen Sie auch aus. Versuchen wir es trotzdem, sagte ich mir. Sie sind es, nicht wahr?«
    Bodmar schielte zu Heppenrath. Der Reiseleiter zog wie unbeteiligt mit seiner Gruppe auf der Aussichtsplattform umher. »Ich verstehe kein Wort«, sagte Bodmar auf russisch.
    »Aber ich.« Kallberg lächelte zustimmend. »Sie sprechen übrigens ein viel zu gepflegtes Russisch. Ist das noch nie jemandem aufgefallen? So wie Sie hat man früher in Petersburg gesprochen.« Kallberg sah sich um. »Wo können wir unauffällig miteinander reden?«
    »Verzeihen Sie, Genosse, aber ich muß weg«, sagte Bodmar mit unbeweglichem Gesicht.
    »Lassen wir doch dieses Kasperlespiel. Ich bin Peter Kallberg und komme aus Pullach vom Bundesnachrichtendienst. Ist das deutlich genug?«
    »Allerdings.« Bodmar sah sich nach allen Seiten um. Sein Herz hämmerte plötzlich wie ein

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