Liebe am Don
Preßlufthammer. Der Bundesnachrichtendienst. Sie holen dich hier 'raus, Junge. Du kommst zurück in die Heimat. Kein Sibirien. Ich werde mich nicht durch die Taiga schlagen, nicht in den Wurzeln vom Sturm aus der Erde gerissener Bäume schlafen, nicht eine Hütte aus rohen Stämmen bauen und mit Njuscha leben wie Bär und Bärin … sie holen uns in eine Welt zurück, die zwar verlogen und verweichlicht ist, die ihre Heuchelei perfektioniert hat, vor der man nur noch kotzen kann, ein schwammiger Teig übersäuerter Moral … aber man braucht nur den Telefonhörer abzuheben, und ein Arzt ist da, und die nächste Apotheke ist drei Straßen weiter um die Ecke. Unsere Kinder, Njuscha, werden nicht auf festgestampfter Lehmerde oder auf einer Schütte Stroh geboren werden, sondern in einem weißbezogenen Bett. Unsere Kinder, Njuscha …
»Kommen Sie –«, sagte Bodmar auf russisch zu Peter Kallberg. »Gehen wir spazieren. Draußen in der Sonne. Und sprechen Sie russisch mit mir … es ist sicherer.«
Über eine Stunde gingen sie auf dem Blutberg Mamajew spazieren. Die Gruppe Heppenrath stand jetzt vor einer großen Tafel, auf die man das alte Stalingrad und die Schlachtfelder gemalt hatte. Ein sowjetischer Veteran berichtete über den Verlauf der Schlacht und den Untergang der deutschen 6. Armee.
»Sie stimmen also zu?« fragte Peter Kallberg, nachdem er Bodmar alles erklärt hatte. Er rauchte die dreißigste Zigarette. Selbst eine Spezialausbildung kann nicht verhindern, daß man nervös wird. »Ich habe Ihnen alle Karten auf den Tisch gelegt, Sie wissen, worauf es ankommt. Ihr Fall ist die einmalige Gelegenheit, mich unbemerkt und mit einer geradezu perfiden Eleganz in die Sowjetunion einzuschleusen. Ich gebe Ihnen Ihren neuen Paß, und Sie fliegen am Dienstag als Peter Kallberg zurück in die Heimat. Einfacher geht's nicht. Was aus mir wird? Darüber brauchen Sie keine Glatze zu bekommen. Ich finde mich hier gut zurecht.« Kallberg lächelte und legte seine Hand auf die Rechte Bodmars. Sie standen an einer Mauer und blickten hinunter zu der im Abendlicht golden schimmernden Wolga. »Geben Sie mir Ihren Paß, damit ich im Hotel die Bilder auswechseln kann. Woher stinken Sie eigentlich so penetrant?«
»Ich lebe seit fünf Tagen in einem Grab.«
»Wo leben Sie?«
»Auf dem Friedhof Wolgograd II. In der Gruft der Familie Shukendskij. Ich schlafe neben dem Sarg der Großmutter.«
»Das ist doch ein Witz, Bodmar.«
»Besuchen Sie uns doch einmal.« Bodmar grinste breit. »Allerdings können wir Ihnen nur eine Party mit Gerippen bieten.« Er wurde plötzlich wieder ernst und entzog seine Hand dem Druck Kallbergs. »Sie sprechen immer nur von einem Paß. Was ist mit Njuscha.«
»Bodmar. Nun hören Sie mir mal gut zu …« Kallberg setzte zu einem neuen Vortrag an, aber Bodmar wischte seine Worte mit einer weiten Handbewegung fort.
»Sparen Sie sich alle Worte! Ich fahre nur mit Njuscha.«
»Das ist unmöglich!«
»Bei mir nicht.«
»Auch bei Ihnen, Bodmar. Sie können nicht ewig in einer Gruft hausen.«
»Nein. Unser Plan ist, nach Sibirien zu fliehen.«
»Zwei Menschen suchen das Paradies! Bodmar, merken Sie denn nicht, wie verlogen, wie pathetisch, wie kitschig das ist? Sie und in Sibirien leben! Ich weiß, ich weiß, was Sie sagen wollen. Die liebe, gute, süße Njuscha. Dieses Täubchen mit den zarten Gliedern, dieses Engelchen, zwischen deren Brüsten man schläft wie auf Schaumgummi, dieses Wunderweib, das selbst dann noch ›allez-hopp‹ ruft, wenn man schielend vor Entkräftung aus dem Bett rollt … dieses Phänomen russischer Wollust … Bodmar, seien Sie still. In Sibirien wird Ihr Täubchen Falten bekommen, die Federchen fallen ihm aus, und dann sitzen Sie in der verfluchten Taiga, werden acht Monate im Jahr vom Schnee zugeweht und starren Ihr krummes Mütterchen an. Da wird Ihre Liebe schnell vergehen! Ist das ein Leben?«
»Haben Sie zwei Pässe bei sich?« fragte Bodmar steif.
»Nein.«
»Sie haben gewußt, daß Njuscha bei mir ist. Wenn man in Pullach die Idee hat, mich hier im Austausch gegen einen Agenten herauszuholen, dann hätte man auch an Njuscha denken müssen.«
»Mein Gott, uns geht es um mehr als um zwei pralle Brüste!«
»Kallberg!« Bodmar sah den Mann aus Deutschland drohend an. »Noch ein Wort dieser Art über Njuscha, und ich haue Ihnen eine runter und schreie laut: Genossen, hier ist ein Deutscher, der die Toten von Stalingrad beleidigt! Was glauben Sie, was dann mit
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