Liebe am Don
schnellte sie in die Dunkelheit und war verschwunden, ehe Borja sie erneut packen konnte.
»Es muß wohl so sein«, sagte er philosophisch und fingerte seine Pfeife aus dem Rock. »Man kann dem Schicksal nicht weglaufen. Ein Tölpel, wer das glaubt.«
An der Gruft blickten sich Bodmar und Kallberg an, als wollten sie sich jeden Augenblick aufeinanderstürzen. Sie bemerkten nicht den gleitenden Schatten, der in der Hecke hinter ihnen verschwand, lautlos, selbst die Äste bewegten sich kaum.
»Wir erwarten, daß Sie abfliegen«, sagte Kallberg. Er sprach russisch, nachdem ihm Bodmar gesagt hatte, er verstehe ab sofort kein Deutsch mehr.
»Ich weigere mich, ohne Njuscha zu fliegen. Und selbst wenn Sie jetzt einen Platz für Njuscha in Ihrer verfluchten Maschine haben … es ist vergeblich. Njuscha wird nie ihr Land verlassen … und ich gehöre dorthin, wo Njuscha ist. Ist das klar? Gute Reise, Kallberg.«
Bodmar wandte sich ab, aber wie damals auf dem Mamajew-Hügel hielt Kallberg ihn fest.
»Noch eine Information, Bodmar. Ja, machen wir es kurz. Lassen wir alle Schnörkel weg. Auf ein Zeichen von mir – und ich werde es am Dienstag genau um elf Uhr geben, vom Flugplatz aus wird einer meiner Männer das KGB über Ihren Aufenthalt unterrichten. Ich habe vorgestern von Ihnen auf dem Hügel einige Fotos geschossen – Sie haben es gar nicht bemerkt –, so daß das KGB genau wissen wird, wie Sie heute aussehen. Mit Bart. Sie können sich ausrechnen, wie man Sie hetzen wird und wie groß dann noch Ihre Chancen sind. Gut, ich fliege zurück … aber Sie werden Ihren Rußland-Traum in den Bergwerken von Karaganda austräumen –«
»Sie Schwein!« sagte Bodmar gepreßt. »Sie elendes Schwein!« Er bückte sich und schwang plötzlich Borjas Spaten hoch, der auf dem Boden lag. Kallberg machte keine Bewegung der Abwehr.
»Bringen Sie mich um, Bodmar … auch das ist einkalkuliert. Wenn ich um Mitternacht nicht im Hotel bin, gibt es heute schon Alarm bei Oberstleutnant Rossoskij.«
Bodmar ließ den Spaten fallen. Laut klirrte er auf die Marmorplatte der Gruft.
»Gehen Sie –«, knirschte er. »Bei Gott, gehen Sie schnell! Ich weiß sonst wirklich nicht mehr, was ich tue.«
Kallberg nickte fast fröhlich. »Überlegen Sie es sich noch einmal, Bodmar. Ich erwarte sie morgens um acht Uhr im Hotel. Wir haben dann Zeit genug, die Pässe zu präparieren.« Er wandte sich ab, drehte sich aber nach zwei Schritten noch einmal um. »Ich weiß, daß Sie kommen. Denn überlegen Sie eins: Durch Ihre Halsstarrigkeit bringen Sie nicht nur sich selbst in das Bergwerk, sondern auch Njuscha in das Frauenstraflager. Wenn Ihre Liebe so himmelhochjauchzend ist, dann sollten Sie vor allem Sorge tragen, daß Njuschas Leben nicht gefährdet wird.«
Er wartete auf eine Antwort, aber Bodmar schwieg. Mordgedanken durchrasten ihn. Er war bereit, Kallberg anzuspringen und mit seinen Händen zu erwürgen. Haben wir dann noch Zeit zu fliehen? dachte er. Bis Mitternacht sind es nur noch zwei Stunden. Was sind zwei Stunden Vorsprung? So aber bleiben uns noch zwei Tage. Morgen früh werden wir rennen wie die Steppenwölfe. Hinein nach Kasakstan, hinüber in die sibirische Taiga … Aber wir werden zusammen sein, Njuscha.
Kallberg hob die Schultern und ging. Auch er mußte über die Mauer klettern und verschwand dann in der Dunkelheit. Fast gleichzeitig waren Borja und Njuscha bei Bodmar. Njuscha richtete es so ein, daß sie mit Borja gemeinsam aus einer Richtung kam.
»Was wollte er?« fragte Borja dumpf.
»Wenig, fast nichts.« Bodmar sah an Njuschas bettelnden Augen vorbei. »Er brachte Grüße aus Deutschland. Nur Grüße. Wir wollen ihn vergessen. Was macht unsere Wohnung, Borja?«
»Ich habe heute am Sarg von Vater Shukendskij eine Lampe mit Batterie montiert. Es ist hell wie in einem Salon.«
Er öffnete die Grabplatte und stieg hinab. Als Bodmar ihm folgen wollte, hielt ihn Njuscha fest.
»Ich liebe dich, Sascha«, sagte sie. »Vergiß es nie … ich liebe dich.«
Dann stieg sie in die Gruft, und Bodmar folgte ihr, den Kopf voller rasender Gedanken.
Am nächsten Morgen erwachte Bodmar allein unter den Decken. Wo Njuscha geschlafen hatte, war nur noch das Kissen mit dem Eindruck ihres Kopfes. Mit einem Satz sprang Bodmar auf, kletterte die Leiter hinauf und hob die schwere Steinplatte an. Borja arbeitete zufällig neben der Gruft und kehrte den Weg, oder war das kein Zufall? Er schielte auf die sich bewegende Grabplatte und stellte
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