Liebe am Don
Budapest-Prag.«
»Sie sagen das, als ob sie einen normalen Fahrplan ablesen.«
»Mehr ist es auch nicht, Herr General.«
»Noch haben Sie Bodmar nicht in der Maschine sitzen. Ich hatte Sie gewarnt, von Braun! Bodmar ist nicht zu überzeugen mit vaterländischen Notwendigkeiten. Der Kerl ist links, eigentlich müßte er eine rote Haut haben wie ein Indianer. Dabei fiel sein Vater als Leutnant bei Stalingrad. Aber das kümmert die heutige Jugend ja nicht. Charakter ist ein Fremdwort geworden. Es war eine Fehlplanung, Kallberg gerade gegen ihn austauschen zu wollen.« General Bollweiß überflog noch einmal den Zettel mit der Funkmeldung. »Der Anker, der Bodmar in Rußland hält, ist dieses Mädchen Njuscha. Damit mußten wir rechnen. Sie wissen doch, Braun … ein Unterleib zieht stärker als zehn Pferde.«
»Es ist an alles gedacht worden, Herr General.« Oberst von Braun entnahm seiner dünnen Ledermappe ein Blatt Papier. »Wenn ich vortragen darf?«
»Ich warte darauf.«
Das war unhöflich, eine versteckte Ohrfeige. Braun nahm sie gelassen hin. Er kannte Bollweiß. Ihn plagte nur die Angst, vor dem Chef des BND, dem ›Mann ohne Gesicht‹, dem General Gehlen, einen Fehler, eine Schlappe einzugestehen. Im nächsten Jahr ging Gehlen in Pension, und Bollweiß rechnete sich eine gute Chance aus, neuer Chef des Nachrichtendienstes zu werden. Da dürfen keine Fehler unterlaufen, da sind Niederlagen im Dunkel der Spionage wie Blutflecken auf einer weißen Weste.
»Der Aktionsplan sieht vier Gruppen vor.« Oberst von Braun blickte auf seine Notizen, »Gruppe eins: Kallberg gelingt es, Bodmar durch Argumente oder auch Drohungen zu überzeugen.«
»Gestorben.« Bollweiß schüttelte den Kopf. »So gute Argumente, daß Bodmar sie wie einen Honigbonbon lutscht, gibt es gar nicht.«
»Gruppe zwei. Njuscha Kolzowa wird überredet, sich von Bodmar zu lösen. Kallberg ist berechtigt, bis zu zehntausend Rubel zu bieten.«
»O Himmel, Braun, sind wir im Wilden Westen? Sie können Bodmar nicht für alles Gold der Bundesbank von Njuscha abkaufen.«
»Gruppe drei.« Braun sprach ungerührt weiter. »Ausschaltung von Njuscha Kolzowa. Dadurch Befreiung Bodmars von seiner ihn bedrückenden moralischen Verpflichtung.«
General Bollweiß blickte Oberst von Braun an wie die Schlange das Kaninchen. »Was heißt ›Ausschaltung‹?« fragte er gedehnt.
»Das ist eine Umschreibung von Aktionen, die eine Durchführung unseres Planes ermöglichen.«
»Sie sind ein Wortartist, Braun. Sagen Sie es klar: Sie machen Njuscha unschädlich.«
»Wir trennen Bodmar und Njuscha voneinander. Die Mittel muß Kallberg selbst bestimmen … er allein kann die Lage überblicken.«
»Und Gruppe vier?«
»Zurücknahme von Kallberg nach Ergebnislosigkeit der drei vorhergenannten Aktionen. Übergabe Bodmars an das KGB.«
Bollweiß starrte seinen Oberst erschrocken an. »Sie wollen Bodmar ausliefern?«
»Ja, Herr General.«
»Und warum?«
»Kallbergs Zurücknahme bedeutet einen schweren Schlag gegen den Aufbau eines neuen Agentenringes nach Plan ›Pilz‹. Ich bin es nicht gewohnt, Herr General, Schläge einzustecken, ohne zurückzuschlagen. Ich war noch nie der Sandsack, den die Faust schlägt, sondern immer nur die Faust.«
»Für Bodmar bedeutet das lebenslang sibirisches Bergwerk.«
»Wir erfüllen damit nur seine Sehnsucht.« Oberst von Braun lächelte mokant. Sein Zynismus überzog das Gesicht wie mit einer schiefen Maske. »Es ist doch der Wunsch dieses Herrn, für immer in Rußland zu bleiben …«
Bollweiß klappte die Mappe zu. Ich habe noch Nerven, dachte er. Ich bin noch keine pläne- und aktionenausspuckende Maschine.
»Und wann soll das losgehen?«
»Morgen früh, Herr General.« Oberst von Braun legte seinen Plan dem General auf den Tisch. »Ich habe keine Zweifel, daß Bodmar bis Dienstag früh einsichtig geworden ist –«
S IEBENUNDDREISSIGSTES K APITEL
Sie kamen am Sonntag zurück aus Perjekopsskaja und warteten, bis die Dunkelheit den Friedhof wie mit einem Mantel bedeckte. Schwer bepackt waren sie vom Don abgefahren, man hatte ihnen für Wochen zu essen mitgegeben. Dauerwürste und eingekochtes Fleisch, Zwiebeln und Trockenfisch, Marmelade und gesalzene Butter. Babukin hatte sie wieder nach Logowskij kutschiert, und eine Kosakenabteilung mit allen Parteigenossen des Dorfes, an der Spitze Kalinew und Väterchen Ifan mit wallendem Bart, ritt neben ihnen her, bis sie Logowskij in der Ferne sahen. Dann blieben sie
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