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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ist wie ein Schwur!« brüllte er plötzlich, als habe man ihn gestochen. »Du heiratest ihn! Im Juni. An einem Sonntag! O du Teufelchen, und wenn ich dich an den Haaren ins Amtszimmer schleife … du heiratest Granja, oder ich ersäufe mich im Don vor Schande!«
    Es war das alte Lied: Kolzow tobte, die Mutter schwieg und hielt ihn nur davon ab, Njuscha zu schlagen. Und wie immer warf Njuscha auch jetzt die Holzkelle hin und rannte aus der Hütte. Sie lief zum Fluß hinunter, zu einem Versteck im dichten Schilf, kauerte sich zwischen die mannshohen Halme und konnte sich nicht entschließen, einfach wegzulaufen. Nach Norden oder Süden, Osten oder Westen … es war völlig gleichgültig wohin. Nur weg aus Perjekopsskaja, hinaus in die Welt, die wie ein Zaubergarten lockt, wenn man auf einer Strohmatratze liegt und ein hartes Leinenhemd auf der zarten Haut kratzt.
    Am Abend, als Njuscha noch nicht zurückgekommen war, machte sich der alte Kolzow auf, sie zu suchen. Sein Vaterherz war ein Zentnerklumpen, die Angst um Njuscha erwürgte ihn fast. Am Fluß lief er hin und her, eine Stallaterne schwenkend … dann rief er, zuerst zaghaft, dann lauter, schließlich mit zitternder, in Schmerz gebetteter Stimme: »Njuscha … komm nach Hause … Njuscha, mein Liebling … ich schlage dich nicht … ich sage kein Wort mehr über Granja … Ein Ekel ist er, recht hast du, ein Speichelspucker, ein Hundsauswurf … Njuscha, mein Täubchen … komm zu mir … Njuscha …«
    Er stand am Don und starrte über die träge fließenden nachtschwarzen Wasser. Irgendwo knirschten Boote an Seilen und Ketten, im Ufergras quakten Frösche und zirpten Haselmäuse, in den Birken und Weiden flatterten Nachtvögel und kreischten, als Kolzow wieder die Stallaterne schwenkte.
    Er fand Njuscha an einer flachen, sandigen Böschung sitzen, die Knie angezogen, das Kinn auf die Beine gestützt. Sie sah über den Fluß und regte sich auch nicht, als Kolzow sich neben sie setzte und die Lampe in den Sand drückte. Er war glücklich, Njuscha lebte noch, sie hing nicht an einer Weide oder trieb mit den Wellen des Don nach Rostow zum Meer. Er hätte sie umarmen und an sich ziehen und auf den Armen wiegen können, wie er es früher getan hatte, wenn er sie aus dem heugefüllten Holzkasten nahm, in dem sie die ersten drei Jahre gelebt hatte.
    Aber Kolzow war Kosak … wenn er Rührung zeigte, dann sah er sie nur tief in sich selbst, und wer kann schon da hineinblicken? Er räusperte sich, legte sich zurück an die Böschung und stützte sich auf die Ellbogen.
    »Als du geboren wurdest«, sagte er dunkel, als beginne er ein Märchen zu erzählen, »hatten wir alle Angst, deine Mutter würde sterben. Neun Wochen lag sie bleich und mager neben dir und atmete kaum. Wir hatten kein Geld, einen Arzt aus Stalingrad zu holen, das Land war vom Krieg verwüstet, die Männer noch an den Fronten, es war eine schreckliche Zeit. Ein Kind, hieß es, na ja, ein Kind … wenn es stirbt, traurig ist's, Brüderchen … und eine Frau, wenn sie stirbt, ertrag es, Dimitri … Millionen sind in diesen Jahren gestorben, erschossen, verreckt, verfault … was bedeutet da eine Frau oder ein Kind? Frauen wird es immer geben, und Kinder kann man immer wieder machen … wichtiger als alles ist das Land. Der Aufbau. Die Kolchose. Der Don. Die Pferdezucht. Das Vieh. Die Felder. Die Gärten. Eine gute Ernte brauchen wir, sonst verhungern wir alle wie Mäuse nach einem Hochwasser. Was sind eine Frau und ein Kind?«
    Kolzow sah über den Fluß. Er fühlte, wie sich der Kopf Njuschas langsam zu ihm drehte. Er spürte den Blick ihrer großen blauen Augen auf sich und wagte nicht, sie anzusehen.
    »Aber ich kämpfte. Ich arbeitete vierundzwanzig Stunden … auf den Feldern, in den Ställen, an den zerstörten Häusern. Und ich saß bei euch, kühlte deiner Mutter das Fieber, fütterte dich mit Milch und Haferbrei, und ich tat es gern. Ich liebte euch … die zarte Mutter, die an dem Kind fast zerbrochen wäre … das Kind, das auf der Welt war und leben wollte und nicht selbst leben konnte … In der dritten Woche bin ich nach Stalingrad geritten … nachts, über die Steppe, aus der noch der Leichengeruch wehte und die Trümmer der Schlacht wie Geschwüre aus dem Boden ragten. In der Stadt bin ich herumgelaufen, von Keller zu Keller, denn es gab noch kein Haus, nur Ruinen, Gräben, Höhlen, Hütten aus Abfall und Blech. ›Freunde‹, habe ich gebettelt. Beim Kommandanten der Truppen, bei den

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