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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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setzte er sich an den Rand und stellte sie zwischen seine Beine. Jelena blieb neben ihm stehen.
    »Dort unten ein Zelt aufzubauen, ist idiotisch«, sagte sie aggressiv. »Wenn es schon sein muß … es gibt schönere Plätze.«
    »Diesen Platz habe ich gesucht.« Bodmar klopfte auf den Boden neben sich. »Setz dich, Jelena. Ich will dir etwas zeigen.« Er sprach plötzlich sehr ernst und mit einer veränderten, rostigen Stimme. Als Jelena ihm ins Gesicht blickte, war er ihr fremd, weit entfernt, ein anderer Mensch.
    Sie setzte sich neben ihn, und Bodmar öffnete die kleine Kiste. Sie war gefüllt mit Papier. Alte Briefe. Abschriften, Karten, Zeichnungen. An der rechten oberen Ecke trugen sie mit Rotstift eine Zahl. Bodmar nahm einen Brief heraus, der die Bezeichnung 4 trug.
    »Was ist das?« fragte Jelena leise. Sie spürte ihr Herz bis zum Hals schlagen.
    »Ein Brief meines Vaters. Lies ihn, Jelena …« Er hielt ihr den vergilbten Bogen hin, und sie nahm ihn wie etwas sehr Kostbares und Zerbrechliches. »Wenn du die Schrift nicht lesen kannst … ich lese ihn dir vor. Ich kann ihn auswendig. Mein Vater schrieb ihn auf seiner Kartentasche … dort drüben auf der Wiese … am Zusammenfluß von Oka und Rybnitza. Kannst du ihn lesen?«
    Jelena schüttelte den Kopf. Die Schrift verschwamm vor ihren Augen … steile, kräftige Buchstaben, aneinandergereiht wie Zaunleisten.
    Aber nicht das war es, was sie am Lesen hinderte … sie weinte plötzlich. Sie wehrte sich gegen die Tränen, aber die Traurigkeit in ihr war stärker als jeder Wille.
    »Du weinst?« sagte er und legte den Arm um ihre zuckenden Schultern.
    »Vielleicht ist dieser für uns beide geschrieben worden.« Er nahm ihr den Brief des Leutnants Bodmar aus der Hand und legte ihn in den verzinkten Kasten zurück. Aus der Wiese stieg der Dunst des Abends. Jelena lehnte den Kopf an Bodmars Schulter; wie ein kleines, hilfloses Mädchen war sie jetzt.
    Und Eberhard Bodmar begann wiederzugeben, was vor siebenundzwanzig Jahren an dieser Stelle geschrieben worden war, in einer Atempause der Schlacht um Orel, in einer Stunde, in der die Verwundeten aufgesammelt wurden, die Toten in Zeltplanen nach hinten schwankten, die Geschütze neu geladen wurden, der Tod sich verschnaufte, die Panzer auftankten und der Flammenschein der brennenden Stadt den Himmel durchglutete.
    *
    »Orel 1941. Am Zusammenfluß von Oka und Rybnitza.
    Mein lieber Junge.
    Wenn Du später einmal diese Zeilen liest, weiß ich nicht, ob Dich das noch interessiert, was Dein Vater in einem Krieg erlebt, was er gedacht und gefühlt hat, tausend Kilometer weit entfernt von Dir und Deiner Mutter. Du bist erst sechs Jahre alt und begreifst noch nicht die Zeit, in der Du lebst und aufwächst; aber einmal wirst Du auch ein Mann sein, mit wachen Augen und einem hellen Geist. Vielleicht liest Du dann diesen Brief und verstehst die Welt von damals nicht mehr, und das wäre gut so, denn wer kann verstehen, was wir erlebten? Wenn es so ist, zerreiß den Brief, mein Junge, ich nehme es Dir nicht übel. Jede Generation hat ihre eigenen Ansichten … unsere wurde nicht gefragt, gebe Gott, daß es bei Dir anders sein wird.«
    Bodmar schwieg. Jelena Antonowna hatte aufgehört zu weinen … sie blickte über die Wiese, das Kinn etwas vorgestreckt, lauschend wie auf eine leise Musik, die aus der Niederung der beiden Flüsse heraufzuwehen schien.
    »Du kannst den ganzen Brief auswendig?« fragte sie, als Bodmar tief Atem holte.
    »Ja. Es war genauso, wie mein Vater schreibt. Zuerst habe ich die Briefe durchgelesen, wie man eben einen alten Brief liest. Mit zwölf Jahren habe ich sie langweilig gefunden, mit sechzehn habe ich gesagt: ›Wir werden alles anders machen als die Alten‹, mit vierundzwanzig sezierte ich die ›Dummheit der vergangenen Generation‹ aus den Zeilen, mit dreißig legte sich mir ein eiserner Ring ums Herz, wenn ich las, was mein Vater mir damals zu sagen hatte, was er sagen wollte und nicht sagen durfte. Es hat lange gedauert, bis ich begriff, daß unsere Väter geblutet hatten und gestorben waren, um uns eine bessere Zeit zu hinterlassen … nicht das Durcheinander, nicht den Haß, die Mißgunst, das Aus-den-Formen-Quellen, das Profitdenken, die Sturheit, die Hochnäsigkeit, das ewige Besserwissen, die ekelhafte Sattheit der etablierten Gesellschaft, in der wir heute leben. Darum bin ich auch nach Rußland gekommen, um den Spuren meines Vaters nachzugehen. Ich will die Luft atmen, mit der man den

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