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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Geist von der Fäulnis reinigt.«
    »Lies weiter … bitte –« sagte Jelena leise. Sie legte den Arm um Bodmars Hüfte und drückte den Kopf wieder an seine Schulter.
    Bodmar nickte. Er schloß die Augen und sah die Schrift seines Vaters vor sich wie ein Filmband, das an ihm vorüberglitt.
    »Ich sitze hier auf einer Wiese und blicke auf die brennende Stadt Orel. Bomben der Sturzkampfbomber mit ihrem nervenzerfetzenden Heulen und tausende Granaten haben die Häuser gesprengt, die Straßen aufgerissen, die Menschen in den Kellern verschüttet. Dreimal sind wir jetzt gegen diese Stadt angerannt, nun haben wir sie erobert. Unsere Verwundeten und Toten werden aufgesammelt und weggebracht, in langen Reihen ziehen die sowjetischen Gefangenen an uns vorbei, oben auf der Straße, eine erdbraune Schlange. Sie wanken in eine unbekannte Zukunft, wie auch wir nicht wissen, wann und wo wir enden.
    Vor einer Stunde ist mein bester Freund gefallen. Drei Meter neben mir. Ein Explosionsgeschoß riß ihm die rechte Gesichtshälfte weg. Mit halbem Kopf lief er noch weiter, neben mir, als spüre er gar nicht, daß er nur noch ein Torso war. Aber sein übriggebliebenes linkes Auge starrte mich an, als wollte es fragen: Was ist denn geschehen? Was haben sie mit mir gemacht? Hilf mir doch … Nach zehn Schritten fiel er dann um, zuerst in die Knie, dann auf den Rücken, das Blut schoß mit dem Gehirn aus seinem halben Schädel, und als ich mich neben ihn kniete, hob er noch die Hand und krallte sich an mir fest. So starb er … In der Tasche trug er einen Brief, den er gestern erhalten hatte. Von seiner jungen Frau, ein Glücksschrei: Wir haben ein Kind! Ein Mädchen! Acht Pfund wiegt es! – Ich habe Fritz hier auf der Wiese begraben, dort, wo die Böschung zur Straße ist. Seinen Stahlhelm habe ich auf den Hügel gelegt. Und nun schreibe ich an Dich, mein Junge, und bete zu Gott, daß Du nie einmal einen Freund begraben mögest, der an deiner Seite zerrissen wurde; daß Du nie einen Krieg erleben mögest, denn Kriege sind staatlich geförderter Wahnsinn, behördlich genehmigte Morde, mögen die Politiker auch noch so schöne Motive dafür erfinden. Der Heldentod ist der dreckigste aller Tode … laß Dir später von keinem erzählen, daß es süß und ehrenvoll sei, fürs Vaterland zu sterben. Ich aber mache weiter, mein Junge, ich werde Kursk erobern, vielleicht auch Woronesch und Stalingrad, ich werde marschieren, kämpfen und vielleicht sterben … Warum? Das darfst Du unsere Generation nicht fragen. Sie kann Dir keine Antwort darauf geben, wie es keine Generation konnte, die je einen Krieg geführt hat. Kriege sind wie Bazillen. Sie sind die Grippe der Völker. Die Pest der Politiker. Und wie bei allen großen Krankheiten stellt das Volk die Toten. Es gibt darauf keine Antworten. Gott schütze Dich, mein Junge.
    In zwanzig Minuten brechen wir auf. Aus Orel kommen Kradmelder zurück. Auf der Straße rollen donnernd unsere Panzer in die Stadt. Leb wohl, mein Junge. Dein Vater.«
    Bodmar stand auf. Er trat an den Rand der Straßenböschung und sah hinunter über den Hang zur Wiese. Jelena wußte, woran er dachte und was er suchte. Sie umfaßte ihn von hinten mit einer fast mütterlichen Zärtlichkeit.
    »Es ist nicht mehr da«, sagte sie. »Sie haben alle deutschen Gräber einebnen lassen –«
    »Ich weiß es.« Bodmar zeigte die Böschung hinab. »Aber hier könnte es sein … und dort drüben am Ufer saß mein Vater und schrieb. Wie wenig sich verändert hat –«
    »Ich hole das Zelt.« Jelena ging zum Wagen zurück, klappte den Kofferraumdeckel hoch und holte den Packsack mit dem Zelt heraus. Schweigend trugen sie alle Sachen hinunter zum Fluß, weiteten die Teile aus und begannen, das Zelt aufzubauen. Es war orangerot mit einem blauen Vordach, eine auffallende Wohnung, an der keiner vorbeigehen konnte. So blieben auch oben auf der Straße die Bauern mit ihren Karren stehen und starrten auf die Wiese, Lastwagen hielten an, sogar zwei Wolga-Limousinen bremsten, aus denen vier Männer kletterten und eine ganze Weile zusahen, wie Bodmar und Jelena das Zelt einrichteten mit Klapptisch, Klappstühlen und einem Gaskocher.
    Bis zur völligen Dunkelheit hielt das Begaffen an … dann war die Straße leer, Kühle zog von den beiden Flüssen über die Wiese, die Luft klebte von Feuchtigkeit. Jelena Antonowna begann zu frieren.
    »Heißer Tee und eine Nudelsuppe sind das beste gegen Zittern«, sagte Bodmar und stellte den Gaskocher an. Er

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