Liebe am Don
Blitzes das Gewitter nunmehr ohne Kraft.
»Teufel!« flüsterte Evtimia jedesmal. »Wenn ich nur wüßte, ob du wach bist! Das kann nicht nur das Erlebnis des Krieges sein!«
In dieser Nacht nun träumte Kolzow gemäßigt, und Evtimia hatte keinen Anlaß, instinktiv zu erwachen und aus der Schußrichtung zu rollen. Dafür riß das dumpfe Toben des Alten Njuscha aus dem Schlaf, sie hob den Kopf und lauschte in die Nacht. Neben ihr pfiff Evtimia durch die Nase, Kolzow grunzte wie ein Eber. Der Kuhstrick, mit dem er Njuscha an Evtimia geknotet hatte, war gestrafft.
Sie richtete sich auf, setzte sich langsam und betrachtete im Widerschein der hellen Frühlingsnacht ihre Eltern. Wie fest sie schlafen, dachte sie. Und wie spät mag es sein. Wahrhaftig, ich bin eingeschlafen und wollte es nicht. Sie blickte zum Fenster, wo die Nacht mit ihrem fahlen Himmel keine Antwort gab. Über den Kirschbäumen im Garten lag das Mondlicht wie eine silberne Haut, der süße Duft des Steinklees drang wie flüssiger Honig durch alle Ritzen des Hauses. Ein leichter warmer Wind wehte. Eine Nacht der Sehnsucht war's.
Njuscha tastete mit der linken Hand zwischen ihre vollen Brüste und holte ein kurzes Messer in einer Lederscheide hervor. Als Kolzow ihr die Fesselung androhte, war es ihr gelungen, dieses Messer an einer Stelle zu verstecken, wo Kolzow bei allen Vaterrechten nicht hingreifen würde. Auch Evtimia wäre nie auf den Gedanken gekommen, Njuscha vor dem Einschlafen zwischen die Brüste zu blicken, um dort nach verbotenen Dingen zu suchen. Aber verliebte Weiber sind einfallsreicher als ein Fuchs vor einem Hühnerstall.
Vorsichtig durchschnitt Njuscha den Kuhstrick, steckte das Messer in die Lederscheide zurück, verbarg es wieder zwischen den Brüsten und kletterte dann über die pfeifende Evtimia hinweg aus dem breiten Bett. Wieselschnell war sie aus dem Zimmer, nur das leise patschende Tappen der nackten Fußsohlen begleitete sie. Kolzow drehte sich auf den Rücken, im Schlaf die gewonnene Weite des Bettes genießend; er röchelte durch die Nase, legte die Fäuste auf seine Brust und trat zweimal gegen den Bettpfosten, was aber Evtimia nicht hochschreckte.
Njuscha blieb an der Tür ihres Zimmers stehen und strich das lange blonde Haar über ihre Schultern. Ein altes, grobes Leinenhemd trug sie, das Großmütterchen Kolzowa im Jahre 1909 mit Kornblumen bestickt hatte. Es sah prächtig aus, dieses Nachthemd, nur war's eine Qual, sich damit zur Ruhe zu legen, denn am Morgen hatten sich die dick gestickten Kornblumen in die Haut gedrückt und der Körper sah aus wie tätowiert. Großmütterchen Kolzowa erlebte dieses Dilemma ihrer Stickkunst nicht mehr, sie hätte auch mit dem Kopf geschüttelt und gesagt: »Wie kann man so blöd sein? Mutter Gottes, sind die dumm! Ein Totenhemd ist's doch, und macht's den Toten was aus, wenn sie Kornblumen auf der Haut tragen, he?« So wurde also das Nachthemd von der Großmutter an Evtimia vererbt, und diese streifte es Njuscha über, als sie mannbar geworden war und sich Brüste und Hüften zu runden begannen.
Es war wahrhaftig ein Hemd für die Ewigkeit, denn in neunundfünfzig Jahren intensiver Wäsche im Zuber oder am strömenden Don hatte es weder an Festigkeit noch an Schönheit verloren. Es gab damals eben noch reelle Handarbeit, Genossen.
Njuscha drückte die Hände flach auf die Brust und atmete kaum. Es ist etwas anderes, ob man sich draußen im Wald unter der Sonne liebt, oder ob man in der Nacht von Zimmer zu Zimmer schleicht und in ein Bett schlüpft, dessen gemeinsame Benutzung erst erlaubt ist, wenn der Pope seinen Segen und der Bürgermeister seine Unterschrift dazu gegeben haben.
Ein schwacher Lichtschein glitt unter der Tür in den winzigen, nachtschwarzen Flur. Njuscha bemerkte ihn, nachdem sie die Tür der elterlichen Kammer zugezogen und damit die Röchel- und Pfeiftöne abgeschnitten hatte.
Er wartet auf mich, dachte sie. Er hat eine Kerze auf den Tisch gestellt. Sascha, ich liebe dich …
Sie sah an sich herunter und verfluchte das alte, grobe Leinenhemd. Sie löste das Band, mit dem es am Hals gekräuselt war, zog das Hemd über den Kopf und legte es über den linken Arm. Dann drückte sie die Türklinke herunter und kam ins Zimmer.
Es hat einmal vor vielen tausend Jahren, als noch keine Menschen auf der Erde lebten, eine Katastrophe gegeben: Ein feuerspeiender Vulkan fiel plötzlich in sich zusammen und versank im Meer. Das Wasser brodelte und kochte und
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