Liebe auf Dauer
dass dies als störend oder unpassend empfunden wird. In unserer Zeit und Gesellschaft, in der immer mehr auf die Funktion geschaut wird, die ein Mensch – zum Beispiel an seinem Arbeitsplatz – zu erfüllen hat, und immer weniger auf ihn als Person, wird die Paarbeziehung immer mehr zum ersehnten einzigen Ort persönlicher Nähe (Retzer 2002).
Wer der Meinung ist, dass das die Paarbeziehung überfordert, mag durchaus richtig liegen, und es ist ein wichtiger Aspekt heutiger Beziehungskultur, dem gegenzusteuern und für ein vielfältiges Netzwerk persönlicher Beziehungen über die Paarbeziehung hinaus zu sorgen (Jellouschek 2002a). Allerdings können wir uns diesem Anspruch dennoch nicht ganz entziehen. Wir sind heutzutage, wenn Intimität in der Paarbeziehung fehlt, damit unzufriedener als frühere Generationen. Das können wir nicht einfach »abstellen«. Dabei scheinen aber viele Paare der Meinung zu sein, dieses Gefühl müsse eben einfach da sein. In der Phase der Verliebtheit war es ja auch da, es hat uns gleichsam überfallen: »Wir waren einander so vertraut, als ob wir uns schon hundert Jahren kennen würden.« Was wir dabei nicht beachten: Auch hier gilt der Satz von J. Gottman (2000), dass eine Beziehung von selber schlechter wird. Intimität bleibt nicht »von selber« erhalten. Von selber geht sie verloren. Wir müssen etwas tun dafür, dass sie erhalten bleibt, vielleicht sich sogar vertieft.
Das ist nämlich die Chance, die sich hier eröffnet: Die Vertrautheit, die wir in der Verliebtheit erleben, ist meist eine ausschnitthafte. Sie bezieht sich auf Seiten unserer Persönlichkeit, die in dieser Zeit besonders im Vordergrund stehen. Umfassende Vertrautheit, Intimität kann aber erst entstehen, wenn wir den anderen tiefer, umfassender kennen lernen, als es in der Verliebtheitsphase möglich ist.
Das hießt, wenn es uns gelingt, für Intimität auch über die Jahre des Zusammenlebens zu sorgen, erhalten wir sie nichtnur, wir sorgen dafür, dass sie sich vertieft, dass sie umfassender wird und uns mit noch tieferem Glück erfüllt.
Hindernisse
Dies zu erreichen ist aber nicht einfach. Dem hohen Anspruch an Intimität steht heute eine Lebensssituation vieler Paare entgegen, die Intimität verhindert oder sie leicht verloren gehen lässt.
Unser Leben ist äußerst komplex geworden. Die frühere Rollenaufteilung – er der Arbeitsmann und sie die Familienfrau – gibt es nicht mehr: Sie will auch berufstätig bleiben oder, wenn Kinder kommen, möglichst bald wieder werden, und er will sich auch für die Kinder engagieren – jedenfalls wollen das junge Väter in Deutschland in wachsender Zahl (Fthenakis 2002). Beide Berufe verlangen aber den ganzen Einsatz, weil unsere Arbeitswelt und Gesellschaft implizit und gegen alle anderslautenden Beteuerungen den hundertprozentig verfügbaren Single oder den ebenso hundertprozentig verfügbaren Mann voraussetzt, der eine Frau zuhause hat, die für alles übrige sorgt. Dazu kommt, dass durch Rationalisierungsmaßnahmen für sehr viele das Arbeitsmaß, das man von ihnen zu bewältigen erwartet, immer größer wird. Die Forderung nach solcher nahezu unbegrenzter Flexibilität bedingt zudem lange Anfahrtswege, Wochenendehen oder Umzüge der Familie, durch die sie immer wieder aus ihren Lebensbezügen herausgerissen wird – mit all den Stressfaktoren für die Beziehung, die das mit sich bringt.
Zu all dieser Belastung kommt, dass heutige Paare, wenn sie Kinder haben, diese keinesfalls »so nebenher laufen« lassen wollen. Kinder zu haben ist heute kein Schicksal mehr, sondern eine Sache der freien, bewussten Entscheidung. Wenn man sich also schon welche anschafft, sindsie auch besonders wichtig, und will man sie auch besonders gut erziehen. Hier eröffnen sich tausend Möglichkeiten schier unbegrenzten Engagements, die Kinder vorschulisch, schulisch und außerschulisch zu fördern, was Zeit, Überlegung und Einsatz der Eltern, vor allem der Mütter, kostet. Dazu kommt, was uns erst in allerletzter Zeit langsam ins Bewusstsein kommt, dass speziell in Deutschland eine überzogene Mutter- und Familien-Ideologie (Gesterkamp 2002, S. 123 ff.) weit verbreitet ist. Die Familie wird tendenziell vierundzwanzig Stunden am Tag als der einzige oder mindestens weitaus beste Ort angesehen, an dem Kinder gut aufwachsen können und keinen seelischen Schaden leiden. Weil deshalb jemand von der Familie da sein muss, trifft das in erster Linie die Frauen, die diesem Anspruch gerecht
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