Liebe auf Dauer
gemäß ihrer traditionellen Rolle vor allem in der persönlichen Zuwendung und in der positiven unmittelbar spürbaren Resonanz auf den anderen. Wenn auf dieser Ebene vom Mann nichts mehr kommt, fühlen sie sich allein gelassen und auf die Dauer ausgehungert. Frauen realisieren oft nicht, wie viel echtes Engagement für sie und die Beziehung in seiner Schufterei liegt, und Männer realisieren zu wenig, dass Frauen – genauso wie sie selbst – auch ihrerseits auf ein gutes Wort, eine deutliche Resonanz, eine liebevolle Geste angewiesen sind. Es wäre für manches Paar sehr hilfreich, wenn sie sich darüber austauschten, worin sie sich als Gebende sehen und was ihnen wichtig ist, dass sie es vom anderen bekommen. Dies könnte zu einer Neubewertung des Tuns und Lassens des Partners führen und andererseits Anstoß sein, sich auch bisher ungewohnte und nicht praktizierte Formen des Gebens anzueignen. So könnte Adelheid realisieren, wie sehr Moritz es mit seiner Mehrarbeit ein Anliegen ist, ihr einen schönen Urlaub zu ermöglichen, und Moritz könnte manchmaldas Gartenhaus Gartenhaus sein lassen und den Abend zum Gespräch mit Adelheid freihalten.
Auch hier macht uns unsere Vergangenheit wieder Probleme. Im tradierten Beziehungsmodell kommt der Frau eindeutig die emotional gebende Rolle zu, während der Mann das Wesentliche tut, wenn er für die Existenzsicherung der Familie sorgt. »Meine Frau muss nicht arbeiten«, das war deshalb in meiner Generation noch eine Aussage, mit der der Ehegatte die Qualität seiner häuslichen Beziehungen unter Beweis stellte. Die Jungen lernten in solchen Familien nicht, was es heißt, einer Frau emotional etwas zu geben. Sie sahen es an ihren Vätern nicht, und es wurde von Männern auch nicht erwartet. Dafür erlebten die Mädchen am Modell ihrer Mütter, wie Frauen sich verausgabten und oft ständig hintanzustellen hatten. »I für mi brauch nix!« (Ich für mich brauche nichts) – war der Wahlspruch der Mutter einer Kollegin. Solche Wahlsprüche wirken weiter, und selbst wenn die erwachsenen Töchter sie ablehnen, machen sie ihnen ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich anders verhalten. Was wechselseitiges Geben und Nehmen bedeutet, muss also tatsächlich häufig erst gelernt werden. Partner können sich hier gegenseitig helfen, indem sie einander auf die weniger belichtete Seite (»Etwas für sich tun« oder »Etwas für den anderen tun«) aufmerksam machen, wann und wo es im Zusammenleben aktuell wird.
Einwände
Der vorgeschlagene Weg macht die Partnerliebe zu einem Geschäft. Bei einem Geschäft ist es in Ordnung, dass die Leistung und Gegenleistung miteinander verrechnet werden. Aber in der Liebe? Wenn Partner immer wieder Ausgleichsforderungen stellen, machen sie dadurch die Liebe, die doch ohne Vergleichen gibt, nicht gerade kaputt? (Retzer 2002, S. 198–205)
Es geht hier um den Unterschied von Gerechtigkeit und Liebe. Wenn es in einer Beziehung zwischen zwei Menschen gerecht zugeht, heißt das noch lange nicht, dass diese beiden sich auch lieben. Das heißt, Liebe ist etwas anderes als Gerechtigkeit. In der Liebe geht es um Hingabe, in der Gerechtigkeit um Ausgleich. Allerdings: Liebe ohne Gerechtigkeit wird Missbrauch oder Überforderung. Der viel beschäftigte Manager, der sich um seine Frau überhaupt nicht mehr kümmert und erwartet, dass sie das über Jahre aus Liebe zu ihm hinnimmt und immer für ihn da ist, missbraucht sie und ihre Liebe. Natürlich können die Umstände so sein, dass er – jedenfalls zeitweise – nicht in größerem Ausmaß präsent sein kann. Es geht auch nicht um eine mathematische Verrechnung. Denn wenn die Frau merkt, dass er trotz seiner Belastung immer wieder – wenn auch kleine – Gelegenheiten nützt, sich ihr persönlich zuzuwenden und beispielsweise einen Termin, der nur seiner Eitelkeit schmeichelt, aber sonst nicht sehr wichtig ist, ihretwegen auch mal streicht, dann wird sie das als Ausgleich empfinden, auch wenn aufs Ganze gesehen ihre familiäre Last die größere bleibt.
Wenn einer in der Beziehung immer schlechter wegkommt als der andere, belastet dies die Liebe auf Dauer sehr. Die Beziehung wird ein Ausbeutungsverhältnis. Allerdings kann man dem ein Stück weit und eine Zeit lang gegensteuern, indem derjenige, der in bestimmten Dingen besser wegkommt, dem anderen immer wieder kleine Kompensationen gibt, die zeigen, dass ihm an der Herstellung eines fairen Ausgleichs liegt: »An dem einen Abend, wo du deinen Kurs hast,
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