Liebe auf Dauer
der Dichter etwas euphorisch weiter formuliert. Denn das Alte ist uns lieb geworden, wir haben Sicherheit darin gefunden, wir kennen uns damit aus. Das Neue, das auf uns zukommt, kennen wir noch nicht so, es macht vielleicht Angst, wir haben noch keine Erfahrung mit den neuen Anforderungen. Der Mutter kann es ganz schön schwerfallen, wenn die jüngste Tochter, zu der sie immer schon eine besondere Beziehung hatte, aus dem Haus geht. Sie weiß natürlich, dass es so sein muss, sie ist bereit, das Kind »loszulassen«, ja sie ist sogar froh, jetzt wieder mehr Spielraum zu haben. Aber trotzdem schmerzt es. Hier war eine solche Vertrautheit! Die wird nicht mehr so sein. Sie wird jetzt wieder in ihren Beruf einsteigen können. Darauf freut sie sich, aber sie hat auch Angst: Wird sie den Einstieg schaffen? Sie wird auch wieder mehr Zeit mit ihrem Mann haben. Auch das findet sie gut. Aber ihr ist auch bange, wie das gehen wird, jetzt plötzlich wieder mit ihm allein zu sein …
Auch der Wechsel vom Arbeitsleben in den Ruhestand ist ein vorhersehbarer kritischer Lebensübergang, auch er kann ganz schön schwierig, kann ein ausgesprochen krisenhafter Übergang werden: Die Arbeit hat bisher das Leben des Mannes ausgefüllt, wenn es gut ging, hat sie diesem auch ineinem wichtigen Bereich Sinn verliehen. Das fällt jetzt weg. Es ist für viele schwer, sich davon zu verabschieden. Der Ruhestand eröffnet viele neue Möglichkeiten, aber wird es gelingen, sie zu entdecken und zu nutzen?
Vorhersehbare Lebensübergänge, vorhersehbare kritische Lebensereignisse können die Beteiligten in ganz erhebliche Krisen stürzen und eine Paarbeziehung ganz schön durcheinanderbringen. Trotzdem ist dabei jedem bewusst, dass es solche Übergänge geben muss: vom Paar zur Familie, von der Familie wieder zum Paar, vom Paar mittleren Alters zur Altersphase. »Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe/Bereit zum Abschied sein und Neubeginne« – sagt Hesse in dem erwähnten Gedicht. Das ist bei den vorhersehbaren kritischen Lebensübergängen unmittelbar einsichtig. Sie sind notwendig, damit das Leben, damit Entwicklung weitergeht. In diesem Sinn sind sie immer auch Chancen, selbst wenn es manchmal ganz schön schwer ist, sie als Chancen zu sehen, als solche zu ergreifen und zu nutzen.
Anders ist es bei einer anderen Art von Krisen – bei solchen, die nicht durch vorhersehbare kritische Lebensereignisse ausgelöst werden, sondern mit unvorhersehbaren einhergehen: mit Krankheit, Kinderproblemen, einer Außenbeziehung, einem Umzug, der überraschend nötig wird, einem neuen Chef, der so ganz anders ist als der alte … Solche Krisen werden nicht erwartet. Sie treffen das Paar unter Umständen wie der Blitz aus heiterem Himmel. Man hat sich nicht auf sie eingestellt, man hat im Vorhinein nicht überlegt, wie man sich verhalten wird, man hat keine Strategien zu ihrer Bewältigung. Drei Beispiele dafür, die uns weiter begleiten werden:
Friedrich bekommt viel früher als erwartet von seiner Firma das Angebot einer Führungsposition. Allerdings in einer anderen Stadt. Er und seine Frau haben sich gerade eine Wohnung gekauft, haben zwei kleine Kinder; Ulrike hat eine sehr günstige Teilzeitstelle in ihrem Betrieb haltenkönnen, sie haben sich gerade rundum wohlzufühlen begonnen in ihrem Wohngebiet mit den vielen jungen Familien, die sich gegenseitig aushelfen – und jetzt aus allem raus! Aus allem, was ihnen gerade Halt und Heimatgefühl zu vermitteln begann. Sie muss die Stelle aufgeben, die Kinder verlieren ihre Spielkameraden, da wo sie hinziehen, kennen sie keine Menschenseele …
Ein anderes Szenario: Frank hat als freiberuflicher Musiker hart zu kämpfen, mit seiner Kunst für den Lebensunterhalt seiner Familie aufzukommen. Seine Frau Ursula ist Juristin und hat nach einer langwierigen Vorbereitungsphase nun ihre eigene Rechtsanwaltskanzlei eröffnet. Frank hat sie beim Aufbau sehr unterstützt und sehr viel für sie getan. Beide sind erleichtert darüber, wie gut das zu laufen beginnt. Endlich scheint sich auch ein Ende der materiellen Sorgen abzuzeichnen. Da verliebt sich Ursula auf einem Kongress heftig in einen ihrer Kollegen. Mit einem Schlag steht die Zukunft des Paares in Frage.
Ein drittes Szenario: Ludwig und Daniela haben zusammen eine kleine Trainings- und Beratungsfirma. Daniela kommt als Seminarleiterin sehr gut an, sie ist selbstbewusst und optimistisch. Ludwig ist als Theoretiker gut, aber im Umgang mit den Kunden eher unsicher
Weitere Kostenlose Bücher