Liebe auf dem Pulverfaß
das ist alles, was uns geblieben ist! Können wir damit leben?«
»Ja, Amina.« Er schob die Gardine zurück. »Ob man ihn ablöst?«
»Wen?«
»Deinen Vater. Er kann nicht stundenlang da unten stehen.«
»Ghazi wird neue Männer schicken.« Sie ging zum Fenster, blickte hinunter, versteckte sich nicht, lehnte sich im Gegenteil hinaus und blieb so im Fenster liegen. Der Nachtwind riß an ihren Haaren, sie klappte den Kragen des Bademantels hoch und hielt ihn vor dem Hals zusammen. Safar hob ein paarmal den Kopf, sah seine Tochter an und senkte dann den Blick. Hier unten auf der Straße war er kein Vater mehr, sondern der Abteilungschef der Organisation ›Freies Palästina‹. Und wenn in seinem Herzen noch die Glut der väterlichen Liebe war, erstickte er sie jetzt mit den Gedanken: Zwei Millionen Flüchtlinge warten auf die Rückkehr. Die ganze Welt hat uns verraten. Unser Schicksal kümmert niemanden. Was auch geschieht, wir haben nichts zu verlieren, weil wir zu einem Nichts geworden sind.
»Was hat er in der Reisetasche?« fragte Kehat leise.
»Eine kleine Schnellfeuerwaffe. Ein extra für den Guerillakampf entwickeltes Modell. Man schießt damit schneller, als man denken kann.« Sie fror, zog die Schultern hoch, und Kehat trat hinter sie, legte die Arme um sie und wärmte sie mit seinem Körper. Safar sah es, im Gegenlicht hoben sich die beiden Köpfe deutlich ab.
Gut so, Kehat Yonatan, dachte er. Du hast es begriffen. Die Zeit des Versteckspielens ist vorbei. Mach dir Gedanken, wie du jemals dieses Haus verlassen kannst. Oder willst du dort oben als ein Greis sterben?
Wir haben Zeit –
Um halb sieben Uhr morgens wurde es in dem großen Haus lebendig. Um sieben verließen Gruppen von Menschen ihre Wohnungen, um zu ihrer Arbeit zu fahren. Ahnungslose Menschen, alte und junge, Männer und Frauen. Sie gingen an Safar vorbei, ohne ihn nur anzusehen. Die Tageshetze begann, man lief sowieso auf die letzte Minute los.
Um halb acht verließ auch Amina das Haus. Safar sah sie aus der breiten Glastür kommen, allein, fröhlich, in einem hellen Sommerkleid, die schwarzen Haare offen im bereits heißen Morgenwind. Er drückte seine Tasche unter den Arm und überquerte die Straße. Amina blieb stehen.
»Guten Morgen, Vater«, sagte sie. »Welch eine lange Nacht –«
»Du läßt Kehat allein?«
»Nein.«
»Wo ist er?«
Sie sah ihn an, lachte und klopfte mit der Faust gegen seine Reisetasche. »Das nette Mädchen in dem gelben Hosenanzug und dem roten Kopftuch, das um sieben Uhr aus dem Haus kam, das war Kehat«, sagte sie fröhlich. »Er hat eine halbe Stunde Vorsprung, und die genügt ihm. Was ist nun, Vater?« Sie blickte in seine übermüdeten Augen, und als sich ihre Blicke trafen, wußten sie, daß aller Haß dieser Welt die Liebe zwischen einem Vater und seiner Tochter nicht zerstören konnte. »Greif in die Tasche und erschieße mich! El Fatah wird dich zum Helden ernennen!«
Safar Murad drehte sich um. Mit gesenktem Kopf ging er fort, die Straße hinunter, ein alter, uralter Mann. Eine Nacht hatte genügt, ihn zu zerbrechen.
Auch der Kommandotrupp des israelischen Geheimdienstes kam zu spät.
Im Studentenheim hatte man Kehat Yonatan seit dem Nachmittag des vergangenen Tages nicht mehr gesehen … die Wohnung Amina Murads, die man mit einem Spezialschlüssel öffnete, war ebenfalls leer.
»Er war hier«, sagte der Führer des Trupps, ein Leutnant Aaron Gholem. »Ich nehme nicht an, daß Amina aus zwei Gläsern zugleich trinkt. Irgend etwas ist geschehen oder schiefgelaufen.« Er stellte die Gläser auf den Tisch zurück, untersuchte schnell und gründlich die Wohnung, fand Kehats Trenchcoat – er hing in Aminas Schrank – und gab es dann auf, an Spuren zu glauben. Sie verschlossen die Wohnung wieder und fuhren zurück in die Innenstadt von Köln, parkten den Wagen in einer Hochgarage und verteilten sich dann über die Straße, in der das Büro der El Araab Lines lag.
Leutnant Gholem stellte sich, wie so mancher Passant, an die große Scheibe und betrachtete die bunten Plakate. Beirut, die Tempelstadt von Baalbek, die Schneegipfel des Libanon, das Seebad von Saida, die Wasserfälle von Hammana. Dann schlenderte er weiter und traf sich an der nächsten Ecke mit seinen beiden Kameraden.
»Sie steht hinter der Theke«, sagte Gholem verwundert. »Wenn sie nicht da wäre, ergäbe das eine klare Lage … aber so? Ich blicke nicht mehr durch. Zurück zum Quartier. Wir müssen Oberst Halevi informieren
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