Liebe auf dem Pulverfaß
das Geld, um meinen Vater bei den Feinden Israels zu suchen.
Gott im Himmel, wie schief hast du Welt und Menschen gemacht.
Safar Murad hatte für seinen Gast alles vorbereitet.
Ein runder, alter, brüchiger Steintisch, an dem vor Jahrhunderten vielleicht eine Nonne gebetet hatte, während ihre Schwestern aßen, war mit kaltem Fleisch, Früchten, Brot und Wein in einem Ziegenfell gedeckt. Die schönen gotischen Bögen der verfallenen Halle waren mit Dornengestrüpp überwuchert, zwei Fackeln staken in den verrosteten Ringen, in denen einmal auch die Fackeln der Kreuzritter gesteckt hatten.
Professor Yonatan blieb stehen und sah sich um. »Sie haben eine merkwürdige Art, zum Nachtessen zu laden, Safar. Garnieren Sie immer Ihren Tisch mit Toten?«
»Es war nötig, um über die Lebenden sprechen zu können. Wir hätten uns auf eine andere Weise nie gesehen, Professor. Nehmen Sie Platz, Moshe Yonatan.« Er ging um den Tisch herum zu einem Klappstuhl und zeigte auf den anderen Stuhl, sich gegenüber. »Meine Welt besteht aus zwei Dingen, Moshe Yonatan: Aus meinem Haß gegen die Juden und aus meiner Liebe zu Amina, meiner Tochter. Vergessen wir den Haß, weil ich Amina verloren habe. Vielleicht können wir diese zerbrochene Welt zusammenkitten. Sie und ich. Zwei Väter, Moshe, die um ihre Kinder weinen … kann so etwas nicht den Frieden vom Himmel herunterjammern? Setzen wir uns – es wird eine lange Zeit werden –«
Es wurde eine lange Nacht.
Der Morgen dämmerte schon über die bewachsenen Ruinen von Aqua Bella, und die ersten Strahlen einer goldroten Sonne durchbrachen die gotischen Bögen des Nonnenklosters, als sich Professor Yonatan und Dr. Safar Murad von dem runden Steintisch erhoben und sich müde streckten. Die Fackeln in den alten, verrosteten Eisenringen im Gemäuer waren längst ausgebrannt … sie hatten die letzte Stunde fast im Dunkeln gesessen. Völlige Stille umgab sie, nur ab und zu klirrte ganz leise, jenseits des Speisesaales der Nonnen, Eisen auf Eisen. Dort patrouillierten die Wachen herum und schirmten den einsamen Treffplatz ab.
»Was nun?« fragte Yonatan. »Als Väter haben wir uns ausgesprochen. Nun kommt die Politik an die Reihe.«
»Da sieht es böse aus, Moshe Yonatan.« Safar Murad umrundete den Tisch, als sei er mit einem Strick an ihm festgebunden und könnte nur im Kreise gehen. »Unsere Kinder lieben sich, und wir haben kein Interesse daran, ihnen diese Liebe zu verbieten. Wir können es auch gar nicht. Aber unsere Länder … unsere heilige Aufgabe … unser latenter Krieg … unser unsterblicher Haß aufeinander …«
»Wir hassen niemanden«, sagte Yonatan laut.
»Nein! Ihr haßt nicht! Ihr nehmt uns nur die Heimat und die Luft zum Atmen.«
»Das stimmt nicht. Wer wollte uns Juden ins Meer treiben? Wer schreit: Vernichtet sie? Wem gönnt man keinen winzigen Platz auf dieser Welt? Hier ist das Land unserer Väter –«
»Es war immer arabisches Land! Bis man euch aus Ägypten vertrieb und ihr mit euren Stämmen über uns herstürztet …«
»O Himmel! Rechnet ihr bis Moses zurück? Wer auf dieser Welt hat dann noch ein Recht auf Heimat, wenn man Jahrtausende aufzählt? Dann gehört Deutschland nicht den Deutschen, Frankreich nicht den Franzosen, England nicht den Engländern, und die USA sind überhaupt nur ein Staat von Landräubern! Murad, das ist doch Wahnsinn, was Sie da sagen!«
»Es kommt immer auf den Standpunkt an, Yonatan.« Safar Murad blieb abrupt stehen. »Wir sollten uns auch nicht damit aufhalten, jetzt über Geschichte zu diskutieren. Wir haben Sie, den großen Physiker der Juden, entführt … das ist ein Politikum ersten Ranges, hinter dem alles andere verschwindet. Morgen wird man als Vergeltungsschlag wieder die Golanhöhen bombardieren, unschuldige Frauen und Kinder in den syrischen Grenzdörfern mit Bomben und Granaten vernichten, mit Stoßtrupps über die Grenzen dringen …«
»Sie waren bei meiner Entführung auch nicht mit dem Leben zimperlich, Safar. Auge um Auge … Zahn um Zahn … Der Mensch ist das schrecklichste Geschöpf, das je geschaffen wurde.« Yonatan ging ein paar Schritte bis zum Eingang des alten, verfallenen Speisesaales und starrte in die glutrote Morgensonne. Draußen hinter den verfilzten Dornbüschen, kauerten die Wachen der Araber, die Schnellfeuergewehre schußbereit neben sich. Der große schwarze Wagen war weggefahren worden und stand jetzt irgendwo in den weitläufigen Ruinen des Klosters. »Ich nehme an, daß ich
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