Liebe auf dem Pulverfaß
für Ihre Organisation eine wertvolle Geisel bin. Was wollen Sie gegen mich austauschen?«
»Nichts. Zuerst dachte ich, daß ich meine Tochter durch Sie wiederbekomme und Kehat dazu – das war die eine Seite Ihrer Entführung. Die andere ist ungleich problematischer: Wir wollen Sie nicht austauschen, wir wollen Ihr elektronisches Zielgerät.«
»Das ist doch Blödsinn, Murad!« sagte Yonatan laut.
»Wieso?«
»Ich habe die Pläne in einem Panzerschrank, aber nicht auf der Stirn.«
»Doch hinter der Stirn! Yonatan, versuchen Sie nicht, mich zu überzeugen, Ihre Forschungen lebten nur auf dem Papier. Ich bin Wissenschaftler wie Sie. Wenn ich ein medizinisches Problem angehe, habe ich meine Präparate, ja, natürlich … aber alles ist im Gehirn erdacht, jeder Handgriff, jede Möglichkeit und auch jede Komplikation vorausgeahnt.«
»Sie sind Arzt, Safar, ich Physiker. Das ist ein großer Unterschied. Ob Sie eine Brust von links nach rechts oder von rechts nach links amputieren, ist überschaubar … aber ein physikalisches Neuland besteht nicht nur aus Fakten, sondern aus einer Fülle komplizierter Berechnungen. Newton hätte das früher vielleicht im Kopf gerechnet … wir haben dafür Computer.« Yonatan machte eine weite Armbewegung. »Haben Sie einen Computer hier in Ihrem schönen Nonnenkloster?«
»Hier nicht … aber in Kairo.«
Yonatan hielt den Atem an. Sein feines Gelehrtengesicht wurde seltsam starr.
»Heißt das, daß Sie mich nach Kairo bringen wollen?« fragte er mit belegter Stimme.
»Ja.«
»Das ist mein Todesurteil!«
»Ich fürchte es auch, Moshe Yonatan.«
»Und unsere Kinder …?«
»Das ist die tragische Seite unseres Lebens, an der wir beide gemeinsam tragen.«
»Sie werden mich nie bis Kairo transportieren können, Safar! Alle Grenzen sind zu. Sie hätten mich in dieser Nacht noch aus Israel wegbringen müssen, jetzt ist es zu spät. Der Vater in Ihnen hat die Politik betrogen … ich hätte es genauso gemacht. Ein Vorschlag: Töten Sie mich jetzt, hier auf der Stelle. Man wird mich dann irgendwann finden und alles als einen Geiselmord betrachten. Das erspart uns viel Mühe.«
»Sie wissen genau, daß das unmöglich ist.« Safar Murad nahm seine Wanderung um den runden Steintisch wieder auf. Es war jetzt heller Tag, ein schöner, sonniger, warmer Morgen mit einem wolkenlosen Himmel, der die Unendlichkeit ahnen ließ. »Ich bin nicht autark, Yonatan. Ich habe einen Auftrag. Ich habe Verantwortung gegenüber unserer Organisation. Gegenüber Palästina.«
»Ich denke, Sie sind der Kopf der Organisation.«
»Der Kopf, aber nicht der Rumpf. Der Kopf denkt für den Rumpf, das ist immer so. Und der Rumpf will leben!« Dr. Murad lehnte sich an den steinernen, zerbröckelnden Tisch. Jetzt, am Tag, verlor die Klosterruine den Zauber ihrer im Fackellicht wie schwebenden gotischen Bögen … sie war nur noch eine große, in Jahrhunderten langsam sich selbst auffressende Erinnerung an eine Zeit, in der dieses Land ebenso ruhig, ebenso geliebt und gehaßt, ebenso mit Blut überzogen war wie heute. Ein Land, das nie zur Ruhe gekommen war und nie in Frieden leben würde, auch in fernster Zukunft nicht.
»Wir werden Sie über den Jordan schaffen, Professor –«, sagte Murad. »Glauben Sie mir … es gibt Schleichwege aus Israel hinaus. Wenn unsere Kommandotrupps hineinkommen, gibt es auch einen Rückweg, das ist doch logisch. Über Jordanien schaffen wir Sie nach Damaskus, und dort werden Sie mit einer diplomatischen Kuriermaschine nach Kairo geflogen. In der Politik sind die einfachen Schritte immer die wirksamsten.«
»Und in Kairo?«
»Bekommen Sie Ihr Labor, Ihren Computer, alles, was Sie brauchen, um Ihr Zielgerät zu vollenden. Für die großarabische Idee!«
»Das ist doch lächerlich, Safar! Ich rechne Ihnen nicht einmal zwei mal zwei aus, geschweige meine geheimen Zahlenkombinationen. Sie können mich nicht zwingen, tätig zu werden.«
»Wir können, Professor.« Murad sah Yonatan lange an. Es war etwas Trauriges in seinem Blick. In Yonatan kroch Eiseskälte empor, er verstand diese schwarzen melancholischen Augen.
»Ich habe keine Angst vor der Folter! Vor gar keiner Folter! Ich lasse mich zerbrechen, aber ich schweige!« sagte er heiser.
»Schmerzen sind etwas Furchtbares, vor allem, wenn sie alles Maß übersteigen …«
»Auch das geht vorbei.«
»Natürlich.« Murad schlang den weißen Umhang fester um seinen Anzug. »Ich empfinde mit Ihnen … denn ich sterbe mit Ihnen
Weitere Kostenlose Bücher