Liebe auf dem Pulverfaß
oder Massenveranstaltungen. Die Welt sollte wieder aufgerüttelt werden für die Sache Palästinas. Wer ahnte, daß es nur die inneren Schwierigkeiten waren, die eine solche Aktivität der Rebellen verursachte?
Oberst Josuah Halevi, der Chef des israelischen Geheimdienstes, faßte die Meldungen bei einer morgendlichen Lagebesprechung so zusammen: »Wir müssen auf alles gefaßt sein. Unsere Leute beschatten jeden Besucher in Kairo bis an die Grenze des Möglichen. Wir haben bereits alle Fluggesellschaften und Flughäfen gewarnt. Die Regierungen aller uns befreundeten Länder sind unterrichtet. Die Gegenmaßnahmen laufen auf Hochtouren. Aber – darüber sind wir ja uns alle im klaren – wenn die Araber zuschlagen wollen, werden sie das tun. Man kann nicht jeden Winkel dieser Welt bewachen. Es gibt tausend weiche Stellen …«
Eine weiche Stelle wurde in diesen Tagen ausgeräumt: Safar Murad und Moshe Yonatan wurden in ein anderes Zimmer verlegt. In einen Raum, der schon mehr einer Zelle glich. Kein Fenster zum Park und damit auch zur Straße, sondern hinten in einem Anbau, mit einem Blick auf die flachen ›Kasernen‹ von Jasirs Leibwache. Von hier aus war es unmöglich, Aminas nächtliches Flötenspiel zu hören, und es war völlig unmöglich, ihr ein Zeichen durch einen Zuruf zu geben.
Aber eines gelang Safar Murad, als sie plötzlich umziehen mußten: Er konnte unter seiner Dschellabah Aminas Chloroform-Fläschchen und das Paket mit Watte verstecken und hinüberretten in das neue Zimmer. Die Wachen tasteten nur Professor Yonatan ab … außer einer Tabakpfeife und einer schönen kleinen Taschenbibel fanden sie nichts. Man ließ die Gegenstände dem Gefangenen. Sollte er beten und die Pfeife ohne Tabak rauchen, es war ein billiges Vergnügen.
»Die Lage spitzt sich zu«, sagte Murad, als sie in dem neuen Zimmer auf ihren Betten saßen. »Mit unseren Kindern ist die Verbindung abgerissen, wir müssen allein weiterkommen.«
»Den Geräuschen und vielen Schritten nach muß es im Haus von Menschen wimmeln.« Yonatan saugte an seiner kalten Pfeife. Er war kein starker Raucher, und Pfeiferauchen war eine seiner wenigen Unfähigkeiten. Sie näßten immer bei ihm, und der Tabaksud brannte auf seiner Zunge. Trotzdem versuchte er es seit Jahren immer wieder, weil es die gesündeste Form des Rauchens sein soll. Daß er bei seiner Gefangennahme gerade eine Pfeife in der Tasche hatte, war ein Zufall. »Ihr Gericht kommt zusammen.«
»Ihres auch, Moshe.«
»Ich habe keine Angst. Seit ich weiß, daß Kehat außer Gefahr und mit Ihrer wunderbaren Tochter glücklich ist –«
»Danke, Moshe«, sagte Murad sichtlich ergriffen. »Wenigstens da ist Allah mit uns gütig.«
»Ich glaube, wir können beruhigt sterben.«
»Ich möchte noch ruhiger leben dürfen.« Safar sprang auf und lief im Zimmer erregt hin und her. »Was hat man aus meiner Idee von einem freien Palästina und einem vereinigten arabischen Reich gemacht! Eine Bande von Terroristen und Mördern. Das war nicht mein Ziel.«
»Trösten Sie sich mit allen großen Ideologen der Geschichte. Auch ihre Ideen wurden anders realisiert, als sie es wollten! Das liegt in der Natur des Menschen, sich immer zu übersteigern.«
»Mich kotzt das alles an, Moshe. Glauben Sie es mir.«
»Ich weiß, Safar. Aber jetzt ist es zu spät. Durch die ganze Welt zieht ein Glimmbrand. Und Sie sind daran in hohem Maße mitschuldig.«
»Ich wollte, ich könnte das rückgängig machen.«
»Sie können es nie mehr!«
»Außerhalb dieser Mauern, Moshe.«
»Auch da nicht. Dann sind Sie ein Ausgestoßener, eine Null unter Nullen.«
»Aber ich kann mein Gewissen säubern.«
»Das ist das einzige, Safar. Aber wem nützt es?«
»Ihnen und mir und unseren Kindern.«
»Dann ist die Welt verdammt klein geworden.«
»Aber schöner.« Dr. Murad blieb mit einem Ruck stehen. »Versuchen wir es morgen nacht?«
»Was? Das ganze Haus zu narkotisieren?«
»Trauen Sie sich zu, durch den Gang zu kriechen und an die Sprossenwand des Schachtes zu springen?«
»Wenn ich Jasirs erstes ›Verhör‹ überlebt habe, werde ich auch das durchstehen.« Yonatan legte sich auf den Rücken und starrte gegen die bemalte Decke. »Angenommen, wir kommen aus dem Haus heraus, wie kommen wir aus Kairo weg?«
»Da gibt es hundert Wege.«
»Sie werden sofort alle Grenzen sperren.«
»Keine Grenze ist hundertprozentig dicht.«
»Ein Vorschlag: Über den Kanal, hinüber auf die Sinai –«
»Zu den Israelis?«
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