Liebe auf dem Pulverfaß
das Schicksal ist meistens sadistisch und weidet sich an der Qual der Menschen.
In Kairo traf an diesem Tag auch Dr. Habbasch ein.
Der israelische Geheimdienst funkte es sofort nach Jerusalem. Habbasch gab sich keine Mühe, sein Gesicht zu verstecken. Er stieg unbefangen aus der Limousine, umarmte auf der Eingangstreppe Jasir ben Rahman und andere Führer der Palästinenser und ließ sich sogar für die Kairoer Presse fotografieren.
Oberst Halevi wurde bei dieser Meldung sehr ernst. Im Hauptquartier klingelten die Telefone und ratterten die Fernschreiber. Aus aller Welt liefen Berichte der V-Männer ein, sie deckten sich nicht mit dem, was man in Jerusalem erwartete. Nirgendwo eine verstärkte Aktivität der Palästinenser, nirgendwo Anzeichen neuer Terrortaten. Bis auf das Zusammentreffen der arabischen Führer in Kairo, das ganz öffentlich geschah – siehe Dr. Habbaschs Fernsehinterview – trat die Revolution auf der Stelle.
»Irgend etwas stimmt da nicht!« sagte Oberst Halevi. »Was macht Dr. Murad in Indien? Wo wohnt er in Indien. Unsere Männer in Neu-Delhi haben ihn nicht zu Gesicht bekommen. Er ist in keinem der Kongreß-Hotels abgestiegen. Wieso ist Murad in Indien, wenn in Kairo das große Zusammentreffen stattfindet? Das alles paßt nicht zusammen.«
Hinzu kam, daß nun alle Spuren von Kehat Yonatan, Amina Murad und Moshe Yonatan im Dunkel endeten. Rom, das war die letzte Station der beiden Liebenden. Hier saßen Israelis und Araber fest, beide mit dem großen Rätsel in der Tasche: Was wollten die beiden in Rom? Moshe Yonatans Verschwinden war so vollkommen, daß Oberst Halevi Magenschmerzen bekam, wenn man in seiner Gegenwart den Namen nannte. Im vertrauten Kreise sprach er etwas Ungeheuerliches, aber für Israel Rettendes aus: »Es ist nur zu hoffen, daß Moshe tot ist. Daß er alle Verhöre durchgehalten hat und mit seinem Geheimnis im Herzen tapfer gestorben ist. Er weiß selbst am besten, was das elektronische Nachtzielgerät für die Araber bedeuten würde.«
Nur eines wußte man jetzt, wenn sich die Nachricht aus Neu-Delhi bestätigte: Dr. Murad hatte mit der Entführung Moshe Yonatans nichts zu tun. Er war in diesen Tagen nur noch Arzt und damit ausgefüllt. Um Yonatan mußten sich andere gekümmert haben.
»Auch hier ein Rätsel«, stellte Oberst Halevi mit saurer Miene fest. »Erst reißt sich Murad wegen seiner Tochter Amina ein Bein aus, daß sie mit Kehat im Bett liegt – jetzt ist ihm alles gleichgültig. Er gibt die Suche auf und reist nach Indien. Man kann sich auf gar keine Logik mehr verlassen!«
Am Abend dieses weltpolitisch so aktiven Tages schlichen sich Kehat und Amina noch einmal durch den unterirdischen Gang in Jasirs Haus. Aber schon nach zehn Minuten erschien Amina wieder an der eisernen Tür. Ihr Gesicht war voll Entsetzen.
»Es stimmt alles«, flüsterte sie. »Mein Vater ist nicht mehr im Haus … deinen Vater haben sie in einen anderen Raum gebracht. Ich habe ihn nicht finden können. In dem ehemaligen Zimmer schläft jetzt Dr. Habbasch.«
»Es bleibt also dabei, du mußt nach Indien! Du mußt von deinem Vater erfahren, was sie mit meinem Vater gemacht haben!« Sie schlossen die Tür wieder, aber in der Erregung vergaßen sie, den Hebel für die elektronische Sicherung wieder hochzuschieben. So war die Tür zwar zu, aber nicht mehr voller unbekannter Gefahren. Auch der Rückweg verlief glatt … es kletterte kein anderer Araber in den Schacht, und Kehat brauchte nicht wieder einen Menschen zu töten.
Mit dem alten, halbblinden Esel des Wirtes ritten sie zurück nach Kairo. Die Beobachter in der Villa des Armeniers kannten sie jetzt schon … das arme Fellachenpaar, das jede Nacht irgendwo aus der Einöde hinter den Mokattam-Bergen kam und frühmorgens auf dem Markt sein wollte, um dort seine wenigen Erzeugnisse zu verkaufen. Ein paar Eier, Zwiebeln, vielleicht ein mageres Huhn. Genug, um sich am Leben zu halten.
Wie anders wäre alles verlaufen, wenn die Leute vom israelischen Geheimdienst gewußt hätten, wer da auf dem schwankenden Esel an ihnen vorbeiritt. So aber zerflatterte alles, was sich so erfolgversprechend konzentriert hatte: Murad und Moshe Yonatan blieben auf sich selbst angewiesen, und Kehat kaufte am nächsten Morgen zwei Flugtickets nach Rom.
Sie behielten danach ganze drei Dollar übrig.
Wer kann mit drei Dollar die Welt erobern?
Gegen vier Uhr in dieser Nacht – im Osten löste sich der Nachthimmel bereits in fahle Streifen auf – hatte
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