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Liebe auf südlichen Straßen

Liebe auf südlichen Straßen

Titel: Liebe auf südlichen Straßen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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ganze Zeit über weinen... Und es ist genug, wenn mein Kissen naß wird.«
    Es war noch Nacht, als sie mich weckte. Der Mond stand hinter dem Monte Gargnano und warf den Schatten des Berges schwarz in den See. Im Herd sank die Glut des Rebholzfeuers rot zusammen, auf dem Anna mir eine Schale voll Ziegenmilch gewärmt und einen Maiskuchen gebacken hatte. Der alte Anselmo schnarchte noch. Mein Bein schmerzte weniger als sonst, weil die Wunde wieder einmal offen war und keine Spannung in sich hatte. Die Papiere des Carlo Patetta ließ ich bei Anna zurück. Sie wollte sie gelegentlich, wenn die Postverbindung wieder ordentlich funktionierte, an den Inhaber des Ausweises zurückschicken.
    »Willst du dich von Nonno Anselmo verabschieden?« fragte sie.
    »Laß ihn schlafen... Wenn er aufwacht und die Kammer leer findet, mag er denken, alles sei nur ein Traum gewesen.«
    »War es denn mehr als ein Traum?« fragte sie, »manchmal denke ich, daß alles, was vergangen ist, nur ein Traum war, die Jugend, die Ehe mit Matteo, das tote Mädchen, das ich gebar — und nun auch du, Lorenzo...«
    Ich stützte mich links auf den derben Stock aus Nußholz, den ich mir geschnitzt hatte, und rechts auf Annas Arm, und so gingen wir langsam Schritt für Schritt durch die Dunkelheit und dem Ende unserer Begegnung entgegen.
    »Leb wohl, Lorenzo«, sagte sie und küßte mich, »und werde bald gesund! Vielleicht sehen wir uns auch einmal im Leben wieder... Aber bringe deine Gina nicht mit. Ich stände neben ihr wie die Distel neben der Rose. Und das würde mich doch kränken...«
    Sie rieb ihre Wange an meiner Schulter: »Geh jetzt nach links, und an der Tankstelle rechts herunter bis zum Neuen Hafen. Dort findest du Bänke genug, auf denen du den Morgen abwarten kannst. Die Madonna schütze dich!«
    Und sie drehte sich um und lief den Weg, den wir gekommen waren, wieder hinauf. Ich ging langsam nach Gargnano hinein, an der Klosterkirche der Franziskaner mit dem romanischen Bogengang vorüber, durch eine abfallende Straße mit buckligem Kopfsteinpflaster, die meinem Bein Schmerzen verursachte, und fand am Neuen Hafen, dessen Wasser dunkel und ölig zwischen den vier Betonmauern stand, eine Bank, auf der ich mich niederlassen konnte. Allmählich graute der Morgen. Und auf der Piazza Feltri-nelli erwachte das Leben. Ein Schuhmacher öffnete seine Werkstatt und begann zu hämmern, ein Eselgespann hielt vor dem Gemüseladen der Witwe Boliti, Fensterläden flogen knarrend auf, und ein Hund kam, schnupperte an meiner Hose und hob schließlich respektlos das Bein gegen die Steinbank, auf der ich saß. Anna hatte mich reichlich mit Tabak versorgt. Ich drehte mir einen kleinen Zigarettenvorrat und verkürzte mir rauchend die Zeit. Am Hafen fanden sich ein paar Frauen ein, die auf die Rückkehr der Fischer warteten. Und ein alter Mann nahm neben mir Platz, stellte die Blechdose mit Mehlwürmern auf den Boden und begann, sein Angelzeug herzurichten.
    »Schlechte Zeiten, amico«, sagte er und nahm die Zigarette, die ich ihm anbot, mit Dank an, »auch die Fische werden immer kleiner. Es ist kaum zu glauben, aber es ist die Wahrheit.« — Er steckte einen Wurm an den Haken und warf die Angel aus. »Sie sind nicht aus Gargnano, amico?«
    »Nein, weiter von oben her...«, sagte ich unbestimmt.
    »Im Trentino soll es den Leuten besser gehen«, meinte er, »sie bauen dort Mais und Getreide an und können auch Großvieh halten. Dieses hier ist in schlechten Zeiten eine Hungergegend. Zitronen sind schön fürs Auge, aber sie machen nicht satt. Wenn Sie hier etwa Arbeit suchen, amico, dann gehen Sie besser gleich weiter.« — Ein Fisch biß an, aber er blieb nicht am Haken hängen, sondern verschwand wie ein Silberblitz in der Tiefe. — »Haben Sie ihn gesehen, amico? Zu klein, um ein winziges Mehlwürmchen zu schlucken. Man wird bald mit Fliegenaugen angeln müssen. Es ist nur noch der reine Zeitvertreib. — Wo kommen Sie her, amico?«
    »Von weiter unten... bin Soldat gewesen... verwundet...«, ich deutete auf den Stock und auf mein Bein.
    Er krempelte das linke Hosenbein auf und zeigte mir eine dünne Wade, in der ein Stück Haut von der Größe eines Lindenblattes braun verwachsen war: »Stammt aus dem vorigen Krieg... Piave, aber Sie irren sich, amico, wenn Sie denken, daß ich deswegen auch nur einen Soldo Rente bekommen habe. Versprochen hat man uns genug. Gehalten nichts. Merda! — Worauf warten Sie hier?«
    »Ich habe mit dem Podestà zu

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