Liebe braucht keinen Ort
können?«
»So einfach ist es nicht, Liza.«
»Könnte ich das?«, fragte Liza erneut. Ihre Beraterin schwieg. »Bitte. Ich möchte es wissen.«
»Ja. Ja. Ich glaube, das könntest du. Irgendwann. Aber der Preis dafür kann hoch sein. Es ist kein einfaches Leben.«
»Kennen Sie welche? Seher, meine ich?«
»Ein paar, ja. Empathen sind oft gute Seher.«
»Wo sind sie jetzt?«
»Drei sind im Einsatz gestorben. Einer ist von der Bildfläche verschwunden.«
»Das sind vier«, meinte Liza. »Was ist mit dem fünften?«
»Er … wurde von den Anarchisten gefangen genommen. Sechs Jahre Folter richten Schreckliches bei einem Menschen an. Sie haben ihn umgedreht.«
»Wie heißt er?«
»Jetzt trägt er den Namen seines Geschöpfes, Thanatos.«
Liza keuchte. Thanatos war das von Menschen entwickelte Virus, das in dem Jahr, als Liza zwölf war, jedes zehnte Kind umgebracht hatte. Sie erinnerte sich noch gut an diese Zeit der Furcht und Isolation, daran, dass sie zu Hause hinter verschlossenen Türen eingesperrt war, dass ihre Mutter wie verrückt jede Woche das Haus Zentimeter für Zentimeter geschrubbt hatte, bis ihre Hände von der Lauge, die sie ins Putzwasser schüttete, ganz wund waren. Thanatos, hatte ihr Vater ihr erklärt, war das griechische Wort für den Tod.
»Er war einmal ein guter Mensch«, sagte ihre Beraterin sanft. »Das Leben eines Sehers ist schwierig, Liza, ein Weg, der einem mehr abfordert, als er einem gibt.«
»Muss ich mich jetzt gleich entscheiden?«
»O nein, meine Liebe. Das musst du nicht. Du musst überhaupt nichts machen. Und lass dich auch von Dr. Branning nicht zu irgendetwas drängen.«
Liza war todmüde. Vor drei Monaten, als sie David Sutton kennengelernt hatte, hatte sich ihr ganzes Leben und Denken verändert. Heute war wieder alles umgeworfen worden.
»Weiß es irgendjemand?«
»Nur Rani. Wir wissen, dass sie hier deine beste Freundin ist, und wir dachten, dass du diese Sache nicht ganz allein durchmachen solltest.«
»Werden Sie es meiner Familie mitteilen?«
»Nur, wenn du das möchtest.«
»
Nein!
Nein.« Sie wollte nicht, dass noch mehr Menschen auf diesen Regentropfenzug aufsprangen, besonders nicht ihre Familie. Es war ihr Leben und sie wollte ihre eigenen Entscheidungen gründlich überdenken.
Lange nachdem die Beraterin gegangen war, lag Liza noch allein im Dunkeln wach, während ihr zwei kalte Tränen über die Wangen rollten. Sie wollte die Geschehnisse am liebsten rückgängig machen. Sie wollte nur Empathin sein, sonst nichts. Sie wollte das Mädchen sein, das mit Mrs Hart gearbeitet hatte, das sich Sorgen um seine Patienten machte und stundenlang an David Sutton denken konnte. Sie wollte nicht der seltene Regentropfen sein.
Kapitel 8
Die Blackfriars Brücke
Am nächsten Morgen wachte Liza voller Selbstbewusstsein und mit einer ruhigen, konzentrierten Energie auf. Sie stand früh auf, duschte, meldete sich als Patientin ab und als Empathin wieder an und sah, dass ihre Beraterin den größten Teil ihrer Fälle an Rani weitergegeben hatte. Sie wollte ihre Patienten zurück, insbesondere ihren Schlaganfallpatienten, und sie war entschlossen, ihn wiederzubekommen. Sie machte sich auf die Suche nach Rani, um sicher zu sein, dass die bereit wäre, den Fall wieder zurückzutauschen. Sie würde sicher darauf eingehen, denn sie hatte selbst sehr viele Fälle zu bearbeiten.
Rani saß allein im Aufenthaltsraum der Empathen, trank Tee und schaute ihre liebste Hindi-Seifenoper. Seit Liza Rani kannte, erzählte diese Seifenoper immer die gleiche Geschichte. Es ging um eine junge Frau, die versuchte, einer Ehe zu entkommen, die ihre Eltern für sie arrangiert hatten. Manchmal floh das Mädchen mit dem jungen Mann, den sie wirklich liebte, aus dem Dorf. Manchmal gelang ihr die Flucht nicht, aber im Laufe dernächsten Staffel verliebte sie sich dann in ihren frischgebackenen Ehemann. Einmal hatte sich eine junge Frau ins Meer gestürzt, wurde jedoch von einem attraktiven jungen Fischer gerettet, der sich natürlich schließlich als Prinz herausstellte.
Normalerweise konnte nichts Rani von diesen Geschichten wegreißen, aber heute schaltete sie den Bildschirm ab, sobald sie Liza erblickt hatte. Als ihr Liza sagte, dass sie gern den Fall von Mr Caldwell zurückhaben wollte, erbot Rani sich sofort, schriftlich ihren Verzicht zu dokumentieren. Dann hielt sie Liza, ohne sie direkt anzuschauen, ein Paket hin, aus dem sie etwas geknabbert hatte. »Möchtest du
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