Liebe bringt die höchsten Zinsen
leise und gehorsam von ihrem Spickzettel die Stichworte zum Identifizieren ab: „Grauhaarig, mit blonder Frau." Zielstrebig wandte sie sich an einen grauhaarigen Herrn mit einer blonden Frau und drückte ihm den Blumenstrauß in die Hand, den ihr Frau Zupfert gereicht hatte. „Das ist unser kleines Dankeschön für Ihre Treue. Und da Sie ab nächstem Monat leider nicht mehr für uns tätig sein können, wünsche ich Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg alles Gute."
Verzweifelt versuchte Frau Zupfert sie wegzuziehen – vergeblich. Der Angesprochene wurde blass, seine Frau stieß nur wütend und überrascht hervor: „Was soll das? Mein Mann hat sich nie etwas zu Schulden kommen lassen!"
Verlegen schauten die anderen Gäste zur Seite. Frau Zupfert rettete die Situation. „Entschuldigen Sie vielmals, das war nur ein Versehen", dann bugsierte sie Kathi zum richtigen Jubilar.
Nach den ersten Schritten drehte die sich um und nahm dem verdutzten Doppelgänger wieder die Blumen aus der Hand, um sie dem richtigen Wenger zu überreichen.
Dafür legte sie ihre Checkliste kurz auf einem der Bistrotische ab und gratulierte dem Betriebsratsvorsitzenden.
Rottmayer, der dicht neben ihr stand, betrachtete neugierig die Spickzettel. Sein Blick fiel auf seinen Namen; verblüfft las er den Eintrag dahinter: „Clever, aber smarter, selbstverliebter Schönling. Mit Vorsicht zu genießen."
Kathi schritt auf einen anderen Mitarbeiter zu, dessen Frau – laut Dossier – im Krankenhaus lag. Die Sekretärin fiel ihr ins Wort und schaffte es gerade noch rechtzeitig, wortgewandt abzulenken, denn der Mitarbeiter vor ihr war – unverheiratet!
Ein paar Schritte weiter lief sie dem insolventen Bauunternehmer und Großkunden Hammerstein in die Arme. Kathi gab sich – in Unkenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit – großzügig: „Kunden wie Sie braucht unsere Bank. Deshalb werden wir Ihrem Unternehmen auch künftig mit Krediten zur Seite stehen. Uns ist bewusst, wie wichtig Kundenpflege in diesen schwierigen Zeiten ist. Es geht nichts über eine solide Finanzierung mit Absicherungen für beide Seiten." Und dabei prostete sie dem gescheiterten Unternehmer aufmunternd zu.
In Hammersteins Augen blitzte Hoffnung auf. Rottmayer verdrehte die Augen und versuchte, die losgetretene Lawine aufzuhalten: „Wobei wir natürlich aktuelle Entwicklungen stets überprüfen und neu gewichten müssen." Doch bevor er weitersprechen konnte, kam Kathi so richtig in Fahrt und setzte begeistert ihr neu erlerntes Banken- und Börsenwissen aus den Videofilmen ein:
„Die Krise ist für jeden echten Unternehmer eine Chance." Und: „Die Aussicht auf bessere Zeiten ist in schlechten Zeiten besser als in guten Zeiten!"
Die Anwesenden lauschten ergriffen ihren Plattitüden und rückten näher zu ihr hin. „Sie kennt sich doch besser aus, als ich gedacht habe", urteilte einer der Gäste gegenüber seinem Nachbarn. „Für eine Antiquitätenhändlerin gar nicht so schlecht."
Kathi trank einen weiteren Schluck Wein. Sie bemerkte, dass die meisten Tischgespräche verstummten und der Kreis ihrer Zuhörer immer weiter anwuchs.
Gebannt oder leicht amüsiert vernahmen sie Kathis Weisheiten aus dem Schnellkurs der DVDs: „Man darf dem Geld nicht nachlaufen. Man muss ihm entgegengehen!" Oder: „Der Gewinn, der spät kommt, ist besser, als der Gewinn, der ausbleibt!"
Besonders gut hatte sich Kathi die angelesenen Zitate aus der Tierwelt merken können; ein Vergleich gefiel ihr am besten: „Geld ist flüchtig wie ein scheues Reh. Man muss sich vorsichtig nähern und es immer im Auge behalten." Ihr Publikum applaudierte lachend. Kathi nahm – derart ermuntert - einen erneuten und viel zu tiefen Schluck, jetzt aus einem der Sektgläser. Ihre Sprüche wurden mit jedem Glas fröhlicher:
„An der Börse sind meist nervöse Hasen anzutreffen, die nicht lange leben, weil sie vor die Flinte der Profis kommen."
Und, als sie erneut Beifall vernahm, zitierte sie: „Bei der langfristigen Geldanlage empfiehlt es sich, die Rolle der Schildkröte einzunehmen. Die hat einen dicken Panzer, ist geduldig und besitzt eine lange Lebensdauer."
Vergebens versuchte Frau Zupfert, Kathi per Handzeichen zum Aufhören zu bewegen, doch die fuhr unbeirrt fort: „Viele von Ihnen besitzen sicherlich Aktien. Dazu kann ich Ihnen nur raten: Die Börse ist wie ein Paternoster. Es ist ungefährlich,
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