Liebe bringt die höchsten Zinsen
durch den Keller zu fahren, um anschließend wieder nach oben zu gelangen. Man muss nur die Nerven behalten."
Beim nächsten Beifall beendete die Rednerin ihre Ansprache und vertraute sich der Sekretärin an. Frau Zupfert übernahm sofort die Führung und steuerte die falsche Stefanie auf eine Gruppe von vier Teilnehmern zu, die mit aufflackerndem Interesse gelauscht hatten. „Sie müssen noch die Herren von der Landesbank kennenlernen. Und den Herrn Staatssekretär. Ich führe Sie hin."
Kathi trat forsch auf die Herren zu, der Erste ergriff das Wort: „Darf ich Ihnen unser Mitgefühl zum Ausdruck bringen und Ihnen gleichzeitig zu Ihrem gelungenen Einstieg in die Geldwirtschaft gratulieren?"
Kathi erwiderte gnädig: „Sie dürfen." Dabei hielt sie ihm ihren rechten Handrücken vor den Mund. Der Sprecher war über diese Geste so verblüfft, dass er der falschen Stefanie reflexartig einen vollendeten Handkuss schenkte.
„Ich hoffe, dass wir schon in Kürze erneut das Vergnügen Ihrer Anwesenheit haben werden und vielleicht werden daraus ja noch engere Bande."
Die falsche Stefanie reagierte schelmisch: „An mir soll es nicht liegen."
Die ersten Häppchen wurden gereicht. Kathi genoss Wein und Sekt abwechselnd und mit anwachsendem Durst, ihr Alkoholpegel kletterte. Nach einigen weiteren Gläschen wurde sie übermütig. Lebhaft beteiligte sie sich an den Diskussionen. Die Anwesenden versuchten, die neue Bankeignerin einzuschätzen.
Einige spürten, dass sie „vom Bankgeschäft keine Ahnung" hatte. Andere waren tief beeindruckt. Wenn sie allerdings davon sprach, dass man im Leben stets „aufrecht wie ein Surfer" an Land gehen sollte und sie „auf Feiglinge keinen Bock" habe, waren einige der Gäste von ihren Aussagen doch leicht irritiert. Und anstatt über Kunst zu parlieren, was so mancher Kunde von einer Antiquitätenhändlerin erwartet hatte, gab sie der Ehefrau eines Kunden ausgiebig AntiAging-Tipps, die sich gerade „im rauen Wind an der Küste" bewährt hätten.
Der Kunde freute sich über „Stefanies" menschliche Seite; seine Frau zeigte sich begeistert, weil nicht nur von Finanzen die Rede war.
Je länger der Abend, desto mehr Fehleinsätze und Missverständnisse gab es. Kathi trat in immer neue Fettnäpfchen. Vor Aufregung bekam sie erneut heftigen Schluckauf. Ein Gast, ein älterer Herr in einem dunkelgrauen Zweireiher, gab ihr Ratschläge, wie sie die „Hicks-Attacke" bekämpfen könne. Er griff in die Innenseite seines Jacketts und zauberte eine Zigarre heraus: „Eine echte Havanna."
„Wirklich echt aus Mexiko?"
„Aus Kuba!"
„Da kann ich nicht ‚nein' sagen."
„Wenn Sie ein paar Züge genommen haben, ist Ihr Schluckauf weg. Ja, er verschwindet mit dem Rauch."
Kathi hob ihr Glas und dankte mit einem „Prosit auf die Gemütlichkeit." Sie griff zur Zigarre, der Gast reichte ihr Feuer. Sie nahm drei kräftige Züge, sog sie tief in ihre Lunge ein.
„Oh, nein", keuchte Kathi, „mir wird kotzübel."
Sie wandte sich ab und eilte zur Toilette. Ich glaube, ich schaff' es nicht mehr rechtzeitig, fürchtete sie. Eine Frau löste sich von einem der Bistrotische und ergriff ihren Arm: „Ist etwas? Ist Ihnen nicht gut?"
„Alles gut, alles bestens. Ich brauch' nur einen Schluck Wasser." Gerade noch rechtzeitig erreichte sie die Damentoilette. Sie beugte sich über das Waschbecken, dann über die Kloschüssel. Es war buchstäblich der letzte Augenblick.
Als sie wieder heraus trat, schwor sie sich: Nie wieder Zigarren! Rauchen vertrag ich einfach nicht...
Frau Zupfert wartete am Saaleingang: „Kann ich Ihnen helfen?" Besorgt schaute sie auf Kathi, die kreidebleich vor ihr stand.
„Nö, alles under control", log sie, „aber ich glaube, wir geh'n jetzt besser an Land. Auf geht's; Segel reffen."
Erschöpft aber froh, die Veranstaltung hinter sich gebracht zu haben, stellte sie beim Rausgehen beschwipst und mit lallender Stimme fest: „Ein wunderbarer Abend. Und erfolgreich war er auch. Finden Sie nicht auch?"
Die Sekretärin nickte tapfer und zog Kathi erleichtert zur Tür. Sie schien in den vergangenen zwei Stunden um Jahre gealtert zu sein - immer in Sorge, dass Kathis Maskerade doch noch auffliegen und sie sich noch um Kopf und Kragen reden könnte.
Thomas Rottmayer ließ es sich nicht nehmen, die falsche Stefanie nach Hause zu fahren.
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