Liebe bringt die höchsten Zinsen
Bertone reisen wollte. Vermutlich war sie ohne Pause durchgefahren. Vielleicht ist sie verunglückt, weil sie völlig übermüdet war.
Und Silvio nahm das ohne jede Rührung hin...
Rottmayer war bestürzt. Es machte ihn zutiefst betroffen, wie kaltschnäuzig und emotionslos Silvio gleich zur Tagesordnung überging und die neue Situation beurteilte: „Jetzt geht die Bank in meine Hände über. Wir werden unkompliziert arbeiten können. Du bleibst natürlich mein Geschäftsführer. Am besten, wir bereden alles hier bei mir. Du bist ja am Mittwoch ohnehin in Zagreb."
Es verschlug Rottmayer die Sprache, wie sein bisheriger Freund im Angesicht des Todes mit analytischem Verstand eiskalt die nächsten Schritte plante: „Bereite alles vor! Auch die Zwangsvollstreckung gegen die Villa."
Der tödlich verunglückte Bankier war anfangs so felsenfest von seinem neuen Partner und dessen Projekten überzeugt gewesen, dass er alle Gefahren übersehen und zusätzlich einer Haftung mit seinem Privatvermögen zugestimmt hatte. Und so hatte er dem Mailänder zur Besicherung des Kredits auch noch das Recht auf sofortige Zwangsvollstreckung seines Privatbesitzes eingeräumt - für den Fall, dass die Absicherung mit Bankanteilen nicht mehr ausreichte, um alle Verpflichtungen abzusichern. Dafür hatte Waldenberg eine Unterwerfungserklärung abgegeben. Sie ist so ziemlich das Vernichtendste, das einem Schuldner, insbesondere dem angesehenen Patriarchen eines traditionsreichen Familienunternehmens, passieren kann. Sie bestätigt, dass der Schuldner sich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwirft, wenn er die vertraglichen Ansprüche der anderen Seite nicht erfüllen kann.
Die Zwangsvollstreckung ermöglicht es zudem, ein Pleiteunternehmen extrem billig zu erwerben. Hat die Firma Schulden, reduzieren diese den Kaufpreis entsprechend. Und im Falle der Waldenberg-Bank bestanden hohe Verpflichtungen gegenüber Bertone, weil - außer dem Darlehen – noch die Beteiligungen an dem Ferienprojekt zu leisten waren. Bertone würde das Traditionsgeldhaus für „einen Appel und ein Ei" einsacken können.
Niedergeschlagen und kleinlaut nahm Rottmayer die Anweisungen Bertones entgegen und legte auf. Eine Weile saß er fassungslos an seinem Schreibtisch. Dann raffte er sich auf, um die Ordner mit den Unterlagen aus dem Aktenschrank zu nehmen. Als er die Schranktür öffnete, stellte er fest, dass der wichtigste Ordner fehlte. Misstrauisch griff er nach dem Postausgangsbuch – und fand eine Erklärung, die ihn grübeln ließ. Im Registrierheft war verzeichnet, dass Stefanie den Ordner mit nach Hause genommen hatte.
Unschlüssig stand Rottmayer für ein paar Augenblicke vor dem verschlossenen Chefbüro des alten Waldenberg. Er hatte das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun; denn eine Erlaubnis zum Öffnen des Büros ohne Genehmigung und ohne Zeugen lag natürlich nicht vor. Und wen hätte er auch danach fragen können?
Er schloss mit dem Universalschlüssel das Büro auf.
Rottmayer wusste, dass in einer ebenfalls verriegelten Schublade des Schreibtisches der Reserveschlüssel für die Waldenberg-Villa versteckt war. Nur im äußersten Notfall durfte er entnommen werden. Seine Nutzung musste – wenn schon nicht zuvor von der Eigentümerfamilie - unverzüglich nach seinem Einsatz genehmigt werden.
Beides war nicht möglich; Rottmayer blieb nichts anderes übrig, als die Vorschriften zu ignorieren. Eine ungewohnte Unruhe hatte ihn erfasst und so beschloss er, die Dunkelheit abzuwarten und erst dann zur Villa zu fahren, um nach dem Ordner schauen.
Seit der Heimfahrt von der Feier in der Bank hatte er sich überlegt, was er Stefanie wohl bedeutete? Er hatte es nie richtig einschätzen können und sie war ihm vorher auch zu kühl und anmaßend vorgekommen. Bis Freitagabend.
Hatte sie ihre wahren Gefühle vielleicht gar nicht gezeigt? Oder hatte sie sie ihm gegenüber wie hinter einer Maske verborgen? War sie in Wirklichkeit längst in Silvio verliebt gewesen?
Rottmayer erinnerte sich, wie der Italiener geprahlt hatte: „Signora Waldenberg ist wie Wachs in meinen Händen. Es war gar nicht schwer, die graue Maus zu erobern."
War Stefanie nur deshalb beim Abschied im Auto so freundlich gewesen, weil sie ihn schnell loswerden wollte? Damit sie am nächsten Morgen gleich in der Frühe nach Italien fahren konnte?
Dabei war sie wohl verunglückt. Und Bertone tat so, als
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