Liebe bringt die höchsten Zinsen
machte der Beamte eine kurze Pause, bevor er mit verhaltener Stimme fortfuhr: „Auch der Vater war nicht zu ermitteln – jedenfalls nicht von unseren Behörden."
Er blickte fragend zu Stefanie. Sie reagierte nicht. Der Leiter des Jugendamtes berichtete weiter: „So wurden Sie vorerst im städtischen Kinderheim untergebracht. Nach vier Monaten kamen Sie zu Pflegeeltern, wie es das Gesetz vorschrieb. Ich kann Sie nur beglückwünschen, dass Sie zu den Waldenbergs gekommen sind, die schon Jahre vorher eine Adoption beantragt und alle behördlichen Überprüfungen bestanden hatten. Die vorübergehende Unterbringung wurde schließlich in eine Adoption umgewandelt."
Stefanie war kreidebleich geworden.
Der Beamte räusperte sich und fragte: „Es steht mir nicht zu, Sie zu fragen, aber die meisten Adoptionsfälle finden ihren Abschluss, wenn die zur Adoption Freigegebenen als Heranwachsende oder als Erwachsene mehr über ihre Vergangenheit und ihre Abstammung wissen wollen. Wir als Behörde sind dazu verpflichtet, Auskunft zu erteilen. Spätestens, wenn die Adoptierten heiraten wollen und dafür eine Geburtsurkunde benötigen, müssen die Fragen rund um die Geburt – so weit es möglich ist - beantwortet werden."
Als Stefanie nicht darauf einging, wurde er deutlicher: „Wie gesagt, die Frage steht mir nicht zu, aber falls Sie aus dem genannten Grund, also einer bevorstehenden Heirat, eine Geburtsurkunde benötigen, lasse ich Sie Ihnen natürlich unverzüglich ausstellen."
Stefanie war fassungslos. Sie nickte wie geistesabwesend, während der Beamte ergänzte: „In Ihrem Fall wird in dieser Urkunde als Geburtsort ‚Talstadt' stehen - der Ort, an dem sie aufgefunden wurden. Er gilt behördlich als Geburtsort. Als Geburtsdatum wird der Tag des Auffindens eingetragen, also der 20. August. Die Spalten, die sich mit den leiblichen Eltern befassen, bleiben verständlicherweise leer, bzw. es steht hier: ‚Vater unbekannt' und ‚Mutter konnte nicht ermittelt werden'.
Wer Sie seinerzeit adoptiert hat, ist nicht öffentlich gemacht worden, so, dass die Umstände Ihrer Geburt niemandem bekannt sind. In unserer Stadt gelten Sie uneingeschränkt als Tochter des Ehepaars Waldenberg. Und Sie können sicher sein, dass die amtliche Verschwiegenheitsverpflichtung nach wie vor gilt."
Er beugte sich zu Stefanie über seinen Schreibtisch: „Das alles ist sicherlich nicht leicht für Sie, aber mehr Informationen hat das Amt nicht vermerkt. Sie sehen an diesem Vorgang, dass er dennoch umfangreich ausgefallen ist. Das liegt an den intensiven Ermittlungen der Kriminalpolizei bei der Suche nach dem Täter, der in solchen Fällen häufig mit der Mutter oder dem Erzeuger identisch ist."
„Gab es noch weitere Adoptionsfälle in diesem Jahr in unserer Stadt?", wollte Stefanie wissen.
„Nein, es war der einzige. Warum fragen Sie?"
„Nur so, aus allgemeinem Interesse."
„Es tut mir leid, aber mehr Informationen zu diesem Fall liegen uns behördlicherseits nicht vor. Konnte ich Ihre Fragen hinreichend beantworten, Frau Waldenberg?"
Stefanie nickte. Sie erhob sich. Der Händedruck des Beamten war kräftig, der Behördenleiter begleitete sie bis zur Tür.
Draußen wartete Kathi. Sie sah, unter welchem Schock ihre Schwester stand. Als Stefanie eingestiegen war, fuhr Kathi mit ihr direkt nach Hause. Erst dort war ihre Schwester in der Lage, das Gespräch wiederzugeben. Sie schloss mit den Worten: „Jetzt ist es auch amtlich, dass ich ein ausgesetzter Bastard bin."
„Du bist der beste Mensch der Welt – egal, was sich vor 34 Jahren zugetragen hat!." Doch die tröstenden Worte ihrer Schwester konnten Stefanie nicht helfen, alles zu verarbeiten.
Was sie nach der Entdeckung des 34 Jahre alten Zeitungsausschnitts befürchtet und was der Beamte ihr soeben bestätigt hatte – es war mehr, als sie verkraften konnte.
Immer wieder schoss es ihr durch den Kopf: Ich bin also tatsächlich das Findelkind, über das die Lokalzeitung berichtet hatte.
Laut Aussage meines Vaters bin ich aber auch das Ergebnis der Liaison mit dem Hausmädchen, das mich vor 34 Jahren zur Welt gebracht hat. Und dieses Baby hat er, wie aus seinem Brief an mich hervorgeht, anschließend adoptiert.
Für Stefanie hatte der Besuch bei der Behörde auch bestätigt: Mein Vater wusste sehr genau, wer die unbekannte Frau war, nach der die Kriminalpolizei wegen
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