Liebe deinen Naechsten - und nicht nur Ihn
wieder keine Lust auf ihre nervige Familie hatte –, hatte er sie manchmal im Morgengrauen geweckt und genötigt, sich mit ihm auf seine Terrasse zu setzen. Jack war nicht gerade das, was man einen Morgenmenschen nannte, deshalb sorgte er immer dafür, dass sie ihren heißgliebten Latte macchiato mit extra viel Zucker bekam. Selbst nach nur vier Stunden Schlaf war J.P. äußerst zuvorkommend und bestens gelaunt. Er war in vielerlei Hinsicht der perfekte Freund.
Sie seufzte und stellte sich vor, wie es wohl sein würde, wenn sie in ein paar Tagen nach New York zurückkam. J.P. war enttäuscht gewesen, als sie ihm erzählt hatte, dass sie zu Avery auf die Bahamas fliegen wollte, aber natürlich hatte er es verstanden. Er verstand immer alles. Und genau da lag das Problem: Alles in ihrer Beziehung war so vorhersehbar . Sie hatte das Gefühl, schon jetzt zu wissen, wie ihr weiteres Leben verlaufen würde. Sie würde an der Columbia studieren und ihre Karriere als Tänzerin vorantreiben, J.P. würde nach Yale gehen und sie an den Wochenenden besuchen. Irgendwann würden sie in der St. Patrick’s Cathedral heiraten, im Waldorf eine exklusive Hochzeitsparty geben und nach Tribeca in eines der luxuriösen Apartments der Cashman Complexes ziehen. Wenn ihre Glanzzeit als Tänzerin vorbei war, würden sie in eine der familienfreundlicheren Cashman-Immobilien auf der Upper East Side wechseln; J.P. würde in das Imperium seines Vaters einsteigen, sie selbst würde Wohltätigkeitsveranstaltungen für das New York City Ballet organisieren und sich um die Erziehung ihrer drei Kinder kümmern, die sie im Abstand von jeweils zweieinhalb Jahren bekommen hätten. Und so weiter und so fort.
Früher hatte sie diese Zukunftsvision immer glücklich gemacht. Aber jetzt empfand sie sie als langweilig, spießig, berechenbar. Ja, sogar als erdrückend.
Sie drehte sich wieder auf den Rücken, schloss die Augen und schob ihre Pilotensonnenbrille auf die Nase. Schluss mit diesen trüben Gedanken! Sie lauschte auf das gleichmäßige Rauschen der Wellen und schlief fast augenblicklich ein.
»Hey!«
Jack öffnete blinzelnd die Augen, nahm die Sonnenbrille ab und sah Owen über sich stehen. Hastig setzte sie sich auf und hoffte, dass sie im Schlaf nicht gesabbert oder etwas ähnlich Peinliches gemacht hatte. Owen trug nichts außer Surfershorts; seine gebräunte Brust glänzte schweißnass. Was sie zu ihrer eigenen Überraschung nicht abstoßend, sondern im Gegenteil ziemlich sexy fand. Er sah aus, als wäre er einem GQ -Cover entsprungen.
Oder ihren heimlichen Fantasien.
»Du solltest lieber nicht allein am Strand einschlafen«, sagte Owen sanft. »Das ist zwar eine Privatanlage hier, aber man kann trotzdem nie wissen.« Er setzte sich vorsichtig auf das untere Ende ihrer Liege. Es war das erste Mal, dass er sie sah, seit sie gestern angekommen war. Sie sah schläfrig aus und war nicht geschminkt, und ihr Bikinioberteil war ein kleines bisschen verrutscht, sodass es einen Hauch mehr Busen enthüllte als vorgesehen. Sie sah zum Anbeißen aus, als hätte sie gerade erst das Bett verlassen. Owen fragte sich unwillkürlich, wie es wohl wäre, neben ihr aufzuwachen.
»Ich weiß. Ich wollte auch nur ganz kurz die Augen zumachen und muss dann irgendwie eingeschlafen sein.« Sie rückte ihren grünen Eres-Bikini zurecht – sie hatte schließlich mehr Stil als diese Schlampe vom Pool –, als ihr Blick wieder auf seine schweißglänzende Brust fiel. »Du trainierst wohl auch im Urlaub jeden Tag, oder?«, fragte sie. J.P. spielte Squash und Golf und ruderte, aber für ihn war Sport eher eine Art Pflichtübung. Owen dagegen wirkte wie jemand, der es liebte, sich körperlich anzustrengen.
»Nein, eigentlich nicht.« Owen zuckte mit den Achseln. »Aber wenn ich nachdenken muss, gehe ich gern laufen.«
»Alles okay?«, fragte Jack, und Owen sah so etwas wie Sorge in ihrem makellosen Gesicht. Ihre Augen hatten fast den gleichen Grünton wie ihr Bikini und der Sarong, den sie sich um die Hüften geknotet hatte. Er stellte sich vor, wie er ihn aufknoten würde, und schaffte es nur unter größter Anstrengung, den Gedanken wieder beiseitezuschieben.
»Ach, mir geht gerade einfach viel im Kopf herum«, antwortete er. Seit ihm gestern aufgegangen war, dass er eigentlich keine echten Gefühle für Kelsey empfunden hatte, konnte er nicht mehr aufhören, darüber nachzudenken. War er tatsächlich ein Aufreißer? Waren Mädchen für ihn wirklich nicht mehr
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