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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Schneller und schneller. Und dann der Wind …
    Marill kam in die Kantine. »Draußen ist jemand, der
    dich sucht, Steiner.«
    »Als was? Als Steiner oder als Huber?«
    »Als Steiner.«
    »Hast du ihn gefragt, was er will?«
      »Natürlich. Schon aus Vorsicht.« Marill sah ihn an. »Er hat einen Brief für dich aus Berlin.«
      Steiner schob mit einem Ruck seinen Stuhl zurück. »Wo ist er?«
      »Drüben am rumänischen Pavillon.«
      »Kein Spitzel oder so was?«
      »Sieht nicht so aus.«
      Sie gingen zusammen hinüber. Unter den kahlen Bäumen wartete ein Mann von etwa fünfzig Jahren. »Sind Sie Steiner?« fragte er.
      »Nein«, sagte Steiner. »Warum?«
      Der Mann fixierte ihn flüchtig. »Ich habe einen Brief für Sie. Von Ihrer Frau.«
      Er nahm einen Brief aus seiner Briefasche und zeigte ihn Steiner. »Sie kennen ja wohl die Handschrif.«
      Steiner fühlte, daß er ruhig stand, mit aller Kraf, aber innen war plötzlich alles lose und bebte und flog. Er konnte die Hand nicht heben; er glaubte, sie würde wegfliegen.
      »Woher wissen Sie, daß Steiner in Paris ist?« fragte Marill.
      »Der Brief kommt aus Wien. Jemand hat ihn aus Berlin mitgebracht. Dann hat er Sie zu erreichen versucht und gehört, daß Sie in Paris sind.« Der Mann zeigte auf ein zweites Kuvert. Josef Steiner, Paris, stand darauf, in Lilos großer Handschrif. »Er hat mit noch anderer Post den Brief an mich geschickt. Ich suche Sie seit einigen Tagen. Im Café Maurice habe ich endlich gehört, daß ich Sie hier finden kann. Sie brauchen mir nicht zu sagen, ob Sie Steiner sind. Ich weiß, daß man vorsichtig sein muß. Sie brauchen nur den Brief zu nehmen. Ich will ihn los werden.«
      »Er ist für mich«, sagte Steiner.
      »Gut.«
      Der Mann gab ihm den Brief. Steiner mußte sich Mühe geben, ihn zu nehmen; er war anders und schwerer als alle Briefe der Welt. Aber als er den Umschlag zwischen den Fingern fühlte, hätte man ihm die Hand abschlagen müssen, um ihn wiederzubekommen. »Danke«, sagte er zu dem Mann. »Sie haben viel Mühe gehabt.«
      »Macht nichts. Wenn wir schon Post bekommen, ist sie wichtig genug, um jemand zu suchen. Gut, daß ich Sie gefunden habe.«
      Er grüßte und ging.
      »Marill«, sagte Steiner, vollkommen außer sich. »Von meiner Frau! Der erste Brief! Was kann das sein? Sie sollte doch nicht schreiben!«
      »Mach ihn auf …«
      »Ja. Bleib hier sitzen. Verdammt, was mag sie haben?«
      Er riß den Umschlag auf und begann zu lesen. Er saß wie ein Stein und las den Brief zu Ende; aber sein Gesicht begann sich zu verändern. Er wurde bleich und schien einzufallen. Die Muskeln an den Backen spannten sich, und die Adern traten hervor.
      Er ließ den Brief sinken und saß eine Zeitlang schweigend und starrte zu Boden. Dann blickte er nach dem Datum. »Zehn Tage …«, sagte er. »Sie liegt im Krankenhaus. Vor zehn Tagen hat sie noch gelebt …« – Marill sah ihn an und wartete.
      »Sie sagt, sie sei nicht zu retten. Deshalb schreibt sie. Es sei ja nun egal. Sie sagt nicht, was sie hat. Sie schreibt … du verstehst … es ist ihr letzter Brief …«
      »In welchem Krankenhaus liegt sie?« fragte Marill. »Hat sie es geschrieben?«
    »Ja.«
      »Wir werden sofort anrufen. Wir rufen das Krankenhaus an. Unter irgendeinem Namen.«
      Steiner stand etwas taumelnd auf. »Ich muß hin.«
      »Ruf erst an. Komm, wir fahren zum Verdun.«
      Steiner meldete die Nummer an. Nach einer halben Stunde klirrte das Telefon, und er ging in die Kabine, wie in einen dunklen Schacht. Als er herauskam, war er naß von Schweiß.
      »Sie lebt noch«, sagte er.
      »Hast du mit ihr gesprochen?« fragte Marill.
      »Nein, mit dem Arzt.«
      »Hast du deinen Namen gesagt?«
      »Nein, ich habe gesagt, ich sei ein Verwandter von ihr. Sie ist operiert worden. Sie ist nicht mehr zu retten. Drei, vier Tage noch höchstens, sagt der Arzt. Deshalb hat sie auch geschrieben. Sie dachte nicht, daß ich den Brief so rasch bekäme. Verdammt!« Er hatte den Brief immer noch in der Hand und sah sich um, als hätte er noch nie in dem schmutzigen Vorraum des Verdun gestanden. »Marill, ich fahre heute abend.«
      Marill sah ihn an. »Bist du verrückt geworden, Kind?« fragte er dann leise.
      »Nein. Ich komme über die Grenze. Ich habe ja den Paß.«
      »Der Paß nützt dir nichts, wenn du drüben bist. Das weißt du doch selbst ganz

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